Es ist drei Minuten vor Mitternacht an diesem Freitag im April, als Malu Dreyer den Zeugenstuhl verlässt, von dem sie dem Untersuchungsausschuss ihre Sicht der Flutkatastrophe im Ahrtal geschildert hat. Ein paar Minuten später wiederholt die Ministerpräsidentin vor Kameras und Mikrofonen ihre Kernsätze: Am 14. Juli 2021 sei nicht absehbar gewesen, dass die Flut so schreckliche Folgen haben würde und dass der Katastrophenschutz in Teilen nicht funktioniert habe.
Das ist die Erzählung, wie sie grob gesagt von allen Vertretern der rheinland-pfälzischen Landesregierung vor dem Gremium des Landtags bislang vorgetragen worden ist. Natürlich war am Tag der Katastrophe nicht zu erkennen, dass die Ahr auf eine Pegelhöhe von bis zu zehn Metern ansteigen würde, dass mindestens 134 Menschen ums Leben kommen und dass Sachschäden in zweistelliger Milliardenhöhe entstehen würden. Aber es gab zahlreiche Hinweise, dass große Wassermassen im Einzugsbereich der Ahr niedergehen, dort auf gesättigte Böden treffen und sehr schnell abfließen würden, wie Meteorologen, Geografen und Hydrologen vor dem Ausschuss darlegten.
Es fehlte - und auch das hat das Untersuchungsgremium herausgearbeitet - an der Zusammenführung aller wichtigen verfügbaren Informationen. So warnte das Landesamt für Umwelt zwar vor hohen Pegelständen, wusste aber nicht, welche Folgen das vor Ort haben würde. Bürgermeister, Wehrführer und Katastrophenschützer im Ahrtal kannten zwar die Örtlichkeiten, konnten aber die dramatischen Warnungen aus Mainz kaum glauben, hatten zudem kaum Ansprechpartner auf Landesebene. Der nominelle Katastrophenschützer Nummer eins im Kreis, Landrat Jürgen Pföhler, versagte vollends, indem er die dramatischen Warnungen nur Nachbarn weitergab. Während in anderen weit weniger betroffenen Landkreisen schon gegen 19 Uhr Katastrophenalarm ausgelöst wurde, vollzog man an der Ahr diesen Schritt erst gegen 23 Uhr. Viel zu spät, um Bürger vor den Gefahren der Flutwelle zu warnen.
Hinzu kamen Kommunikationsprobleme. Schnell gaben an der oberen und mittleren Ahr Digitalfunk und Handys ihren Geist auf. In dem neben der Tiefgarage der Kreisverwaltung untergebrachten Krisenstab war der Handyempfang ohnehin stark eingeschränkt.
Und die Landesregierung? Umweltministerin Anne Spiegel (inzwischen zurückgetreten) verließ sich auf Staatssekretär Erwin Manz. Innenminister Roger Lewentz (ebenfalls nicht mehr im Amt) verließ sich auf Informationen seines Lagezentrums, nach dem es sich um ein starkes Hochwasser, aber keine Flutwelle handelte. Dreyer informierte er nur schriftlich, weil er ,,keine belastbaren Informationen" gehabt habe. Niemand habe die dramatischen Prognosen gekannt, hieß es unisono. Als die Flut in Sinzig zwölf Menschen Vertreter des Landes im Bett.
Doch im Ausschuss, der die Aufgabe hat, Fehler aufzuzeigen und politische Verantwortung zu klären, wird nicht nur Versagen thematisiert. Es ist auch ein Ort, an dem Heldengeschichten erzählt werden. Etwa von dem Hubschrauberpiloten, der mit einer Feuerwehrleine fünf Menschen vom Dach eines Versorgungshäuschens auf einem Campingplatz rettete. Oder von dem jungen Wehrführer, der Kameraden und DLRG-Leute zusammenbrachte, die per Boot zu überfluteten Häusern fuhren und mit Steckleitern Menschen herausholten.
233 Zeugen sind zu den und Sachverständige Ausschusssitzungen aufgerufen worden. Manche waren nach fünf Minuten wieder draußen wie Pföhler, der sich - weil Ermittlungen gegen ihn laufen - auf sein Aussageverweigerungsrecht berief. Andere wurden gut drei Stunden gegrillt, manche kamen mehrfach. Auch Dreyer dürfte noch einmal vorgeladen werden. Es wäre eine Gelegenheit, sich im Namen der Landesregierung für viele Fehler zu entschuldigen, die vor, während und auch nach der Flut gemacht wurden.