Experimente und Tradition beim Neuanfang des Musikfestivals

Bonner Beethovenfest unter der Leitung von Steven Walter: Neue Höhen in 2022

Unter ihm war das Beethovenfest so bunt wie vielleicht niemals zuvor: Steven Walter FOTO: SOPHIA HEGEWALD

Bonn erlebte das erste Beethovenfest unter dem neuen Intendanten Steven Walter. Mit einer ausgeprägteren künstlerischen Weltoffenheit brachte er frischen Wind in das Festival. Doch ein Problem bleibt. VON BERNHARD HARTMANN

In diesem Jahr erlebte das Bonner Beethovenfest einen Neuanfang. Nach den coronabedingten Ausfällen des Beethoven-Jubiläumsjahres 2020 und den deutlich spürbaren Einschränkungen des Jahres 2021 konnte man 2022 wieder voll durchstarten. Mit neuem Enthusiasmus und unter neuer Leitung. Nach dem Abschied von Intendantin Nike Wagner erlebte Bonn das erste Beethovenfest unter der Leitung ihres Nachfolgers Steven Walter. Etwas mehr als vier Jahrzehnte trennen die beiden, was sich ganz selbstverständlich in Programm und Charakter des großen Bonner Musikfestivals niederschlägt. Steven Walter hat dem Festival mit seinem Debüt einen neuen und durchaus jüngeren Anstrich gegeben. Stand für Wagner vor allem die klassische Avantgarde für Gegenwart, bezieht Walter auch die Popkultur in sein Konzept mit ein.

Natürlich geht es nicht darum, die radiotauglichen Charts beim Beethovenfest zu präsentieren. Das wird auch weiterhin Aufgabe anderer Veranstalter bleiben. Es geht um inspirierende Momente und überraschende Begegnungen von Neu und Alt, von Klassik und Musik aus ganz anderen kulturellen und popkulturellen Räumen und Zusammenhängen, vielleicht auch ein bisschen um die Überwindung eines eurozentrischen Kulturbegriffs. Beispielhaft war da der gemeinsame Auftritt der US-amerikanischen Rapperin, Lyrikerin und Aktivistin Moor Mother und des Bonner Beethoven Orchesters, deren Musik und Texte unvermittelt auf den romantischen Komponisten Anton Bruckner trafen. Danach verließ man in dem Bewusstsein den Saal, dass Popkultur so viel mehr sein kann als Massenware aus den Hitfabriken.

Das Beethovenfest war so bunt, so facettenreich wie vielleicht niemals zuvor. Es gab Dunkelkonzerte, der Post Tower wurde vertikal von verschiedenen Ensembles gleichzeitig bespielt. Und zum Finale verblüffte ein Orchester das staunende Publikum mit Beethovens Tripelkonzert und einer komplett auswendig gespielten Symphonie fantastique von Hector Berlioz.

Walter hat mit seinem ersten Festival gleich einen markigen Akzent gesetzt, den man auch als radikalen Neuanfang bezeichnen könnte. Spannende Künstler und Kunstereignisse sind ihm wichtiger als die großen Namen der Klassikszene. Das Flair der Ruhrtriennale scheint ihm da wesensverwandter zu sein als der Glamour der Salzburger Festspiele. Walter bindet lokale und regionale Kräfte ein, wagt Experimente, pflegt dabei jedoch auch weiterhin das traditionelle Repertoire.

,,Ich habe insgesamt das Gefühl, dass viele perspektivenreiche Keimzellen gelegt wurden"

Auch wenn die Auslastung mit etwa 70 Prozent noch ordentlich Luft nach oben hat, herrschte beim Publikum eine große Zufriedenheit mit dem Angebot, wie eine Umfrage der „Bürger für Beethoven" in den eigenen Reihen zeigte. In einer von dem Verein selbst organisierten Umfrage unter den 1100 Mitgliedern und 3000 Empfängern des Beethoven-Newsletters erhielt das Festival auf einer Skala von 1 (sehr enttäuschend) bis 10 (exzellent) die Durchschnittsnote 7,6. „Es gab viel Lob und nur ganz vereinzelt negative Bewertungen. Das Konzept von Steven Walter stieß erkennbar auf Begeisterung und häufig war von einer Aufbruchsstimmung die Rede", teilte der Vorsitzende des Beethovenvereins, Stephan Eisel, mit.

Von den 4100 angeschrieben Beethoven-Interessierten nahmen schließlich 410 an der Mail-Umfrage teil, die Hälfte davon Mitglieder des Beethoven-Vereins. Eisel wies darauf hin, dass eine solche Umfrage nicht den wissenschaftlichen Kriterien der Repräsentativität entspreche. Es ließen sich aber Grundtendenzen ablesen.

Jetzt muss sich Walters mutiger Balanceakt nur noch in der Auslastung niederschlagen. In diesem Jahr waren manche Konzerte alles andere als gut verkauft. In einem Interview mit dem GA nannte er ein paar mögliche Gründe für die Zurückhaltung beim Publikum. Walter: „Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Einerseits ist das Kaufverhalten wegen der sich überlagernden Krisen unberechenbarer geworden. Nicht alle Annahmen sind da aufgegangen. Sicherlich war das Programm auch teilweise zu dicht, zu viel Parallelität und suboptimale Passung von manchen Räumen mit den jeweiligen Programmen. Mir war aber wichtig, nun erst mal alles aufzutischen - wir werden das Ergebnis in Ruhe analysieren und unsere Schlüsse daraus ziehen. Da sind auch einige Überraschungen dabei, und wie gesagt: Ich habe insgesamt das Gefühl, dass viele perspektivenreiche Keimzellen gelegt wurden. Und es gab auch jetzt schon diese interessanten Ausreißer nach oben, wo plötzliche erstaunliche Dynamik und geradezu ein »Run« auf die Tickets aufkamen."

Natürlich wie nahezu hat das Beethovenfest die gesamte Veranstaltungsbranche gelitten. Die durch Corona, Inflation und Energiekrise verursachte Kaufzurückhaltung schlägt hier besonders stark durch. Das konnte man etwa bei den attraktiven Sinfoniekonzerten in der Bonner Oper erleben, wo selbst das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom und Stardirigent Antonio Pappano die 1000 Sitzplätze des Hauses nicht zu füllen vermochten. Da ging es dem Beethovenfest nicht anders als der Kölner Philharmonie, die zu Beginn der aktuellen Saison auch Mühen hatte, die Zuschauerreihen selbst bei den großen Orchestern aus den Vereinigten Staaten zu füllen.

Ein großes Problem ist in Bonn die Verfügbarkeit von attraktiven Aufführungsorten. Die Beethovenhalle ist nach wie vor Baustelle, und auch die Uni-Aula muss saniert werden. Für Walter jedenfalls bleibt bis auf Weiteres die Devise: ,,Kreativ sein mit den verfügbaren Räumen".