Wolfgang Wiedlich ist ein Fan von Trüffelschweinen. Sorgfältig zusammengestellte Mannschaften mit Charakter, Herz und dem Willen, sich jedem Ball hinterherzuwerfen, haben ihm schon immer besser gefallen als das Offensichtliche, das auch andere erkennen und das deshalb aufgrund der Konkurrenzlage entsprechend mehr kostet. Wenn Trainer einen höheren Spieleretat forderten, zog der Präsident der Telekom Baskets stets skeptisch eine Augenbraue hoch.
Es ist kein Wunder, dass er so bei Tuomas Iisalo landen musste. Einem jungen Finnen, der die Crailsheim Merlins zum Aufstieg gecoacht hatte und dort aus den vorhandenen Mitteln viel herausholte. Währenddessen darbte der #HEARTberg. Der schlaue Hashtag, der zu den guten Zeiten und den Ansprüchen der Baskets passte, war hohl geworden, im Frühsommer 2021 herrschte Magenta-Tristesse: Eine coronabedingte Geisterspielsaison mit sportlicher Flaute lag hinter den Baskets, alle in den letzten Jahren verpflichteten Headcoaches hatten mit ihrer Arbeit nicht gerade Raketen gezündet“, erinnert sich Wiedlich. Im Jahresrückblick 2022 muss dieses Stückchen 2021 ebenfalls erzählt werden, weil es die Basis für das erfolgreiche Jahr 2022 und eine sich abzeichnende Erfolgssaison 22/23 bildet.
Auch den Baskets war nicht entgangen, was da in Crailsheim vor sich ging. Und trotz der sportlichen Krise konnten die Bonner selbstbewusst auf Trainersuche gehen. Denn die Bonner Innenansicht auf die Baskets, so Wiedlich, sei ,,eine völlig andere als die Außenansicht des nationalen und europäischen Basketballs". Oder anders: ,,Bonn ist eine der wenigen guten bis sehr guten Adressen für Trainer, die fast perfekte Rahmenbedingungen schätzen: eigene Halle, top Trainingsmöglichkeiten, gute Organisation, wirtschaftliche Solidität, gelebte Basketballstadt mit Historie."
Schließlich habe der ,,Inner circle" aus zahlreichen Möglichkeiten die Entscheidung zwischen drei hochkarätigen Kandidaten treffen müssen -,,und wir entschieden uns gegen beachtliche Trainer-Biografien und renommierte Referenzen, sondern für den jüngsten und unkonventionellsten Kandidaten, eben Tuomas Iisalo", der eine überzeugende Mischung aus Leidenschaft, Kompetenz und Ehrgeiz verkörpert habe. Und Iisalo habe dann auch schnell zugesagt.
Es war der Beginn der sportlichen Wiederauferstehung der Telekom Baskets. Und das ist nicht übertrieben. Es war nicht sicher, ob sich der Crailsheimer Erfolg gleich im ersten Jahr auf Bonn übertragen ließe, aber er wurde sogar übertroffen. Iisalo stellte eine Mannschaft zusammen, deren Erfolg auf Arbeitsethos fußt. Das hat er zuvor recht genau abgefragt. Eine Low-Budget-Truppe ist sie dennoch nicht.
Es ist bekannt, dass für den intensiven lisalo-Basketball hart gearbeitet werden muss. Der Finne lässt lieber kurz und intensiv als lang und auch nur ansatzweise laissez-faire trainieren. Schnelles Spiel zu automatisieren ist einer der Grundgedanken. Also wird mit Druck trainiert. Wiederholt, wiederholt, wiederholt. Iisalo baute das Team um Jeremy Morgan, der das System schon aus Crailsheim kannte, und um die rasende Spielmacher-Attraktion Parker Jackson-Cartwright (,,PJC") herum.
Dazu der verlässliche Karsten Tadda als Kapitän, das noch lange nicht am Limit angekommene Centerduo Kessens/Kratzer, der Glue-Guy Skyler Bowlin und der Litauer Saulius Kulvietis. Mastermind Iisalo präsentierte seine Idee. Er hatte die Verantwortlichen damit überzeugt und hielt seine Ansprache vor der Saison nicht nur vor dem ballspielenden Personal, sondern vor allen Mitarbeitern. Jeder sollte wissen, wie die Baskets wieder erfolgreich werden und dass alle Teil dieses Unternehmens sein sollten. Das hatte es auf dem Hardtberg so noch nie gegeben. Teamspirit bis in jedes Büro, an jeden Arbeitsplatz.
Die Saison lief von Beginn an nach Wunsch, wie eine Lawine rollten die Baskets, brachten Erfolg und Begeisterung zurück. Es wurde immer deutlicher, dass die Siege und eine Top-Platzierung kein Zufall waren. Die Zuschauer wollten die Baskets sehen, während in anderen Hallen viele Plätze leer blieben. Der Ukrainer Oleksandr Lypovyy und der ebenfalls Ex-Crailsheimer Javontae Hawkins ergänzten den Kader und das Team schloss die Tabelle auf Platz zwei ab, fegte in den Playoffs mit 3:0 über Hamburg hinweg und musste sich erst im fünften Halbfinalspiel dem FC Bayern geschlagen geben. Der größte Erfolg seit der Vizemeisterschaft 2009.
Neue Saison, veränderte Bedingungen: Die Baskets spielen nicht nur in der BBL, sondern auch in der Champions League. „PJC" wurde MVP (wertvollster Spieler) der Liga und wechselte nach Frankreich zu Asvel Villeurbanne Lyon in die höchste europäische Spielklasse. Iisalo gelang ein Coup, indem er TJ Shorts - auch aus Crailsheim - als Nachfolger nach Bonn lockte. Er hat seine Stammformation zusammenbehalten und klug ergänzt. Da die meisten das komplizierte System schon beherrschen (mit dem aus genau diesem Grund auch Gegner schwer zurechtkommen), ist die Mannschaft in ihrer Entwicklung Mitte Dezember weiter als zum gleichen Zeitpunkt der vergangenen Saison.
Beleg: Tabellenerster der Basketball-Bundesliga, in der härtesten Gruppe der Champions League frühzeitig für die Runde der besten 16 qualifiziert. Shorts ist sogar noch ein Upgrade zu Jackson-Cartwright, das Team insgesamt stärker als vergangene Spielzeit. „Wir haben noch Luft nach oben", sagt der charismatische Trainer. Der Iisalo-Basketball ist erfolgreich. Er ist in aller Munde. Und er steht wieder für etwas. Spieler anderer Vereine (so berichtet beispielsweise der Podcast ,,Abteilung Basketball") sagen: „Wir machen dieses oder jenes jetzt so wie die Bonner."
Dass ein Sponsor, der 30 Jahre an der Seite des Vereins stand, ausgerechnet jetzt aussteigt, ist schwer nachzuvollziehen. Die Baskets waren wahrscheinlich niemals eine stärkere Marke als jetzt. In der Bundesliga - und in Basketball-Europa. Woche für Woche überschlagen sich die internationalen Kommentatoren, Baskets-Spielzüge sind Material für Highlight-Sammlungen. Iisalo-Basketball ist stilbildend. Sogar in der NBA-so hört mansollen Clubs auf den neuen Baskets-Ball aufmerksam geworden sein.
Doch das wichtigste Thema bleibt die Suche nach einem Telekom-Nachfolger - das Damoklesschwert über dem Hardtberg. ,,Da gibt es viel Bewegung, aber nichts Spruchreifes, noch keine harten Fakten", sagt Wiedlich. Das sei für die ungeduldige Außenwelt zwar unbefriedigend, „aber gewisse Dinge lassen sich eben nicht beschleunigen". Die Zeit drängt, denn die Fortsetzung dieses Weges benötigt Planungssicherheit. Das Baskets-Hoch steht und fällt mit Iisalo. Er ist wesentlicher Faktor für ihre Attraktivität - auf dem Feld und damit auch gegenüber Sponsoren.