Viele Jahre war das beliebte Eventschiff ,,Anja" von Wesseling aus über den Rhein geschippert, bis es im März 2020 den Einsatzort wechselte. Ein besonderes Event auf dem Schiff hatte am 15. Juni 2016 stattgefunden. Abgesandte großer Chemieunternehmen sowie der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann hatten Vertreter von Kommunen und Landkreisen, von Unternehmen und Verbänden sowie Politiker von Kommunal-, Kreis-, Landes- und Bundesebene auf das Schiff geladen. Gesprochen wurde über ein großes Infrastrukturprojekt: eine neue Querung über den Rhein, auch als Rheinspange bezeichnet.
Am Ende der Rundfahrt zwischen Wesseling und Köln sowie nach einem zweistündigen Gespräch habe es einen ,,großen Konsens" gegeben, wie es damals hieß. Man stimme darin überein, dass man eine Brücke wolle, war von den Beteiligten zu hören. Von einem solchen Konsens kann aber längst keine Rede mehr sein. Was dazu gedacht ist, die Region links und rechts des Rheins noch stärker zu verbinden, spaltet sie. Seit der Aufnahme des Projekts in den Bundesverkehrswegeplan 2030 wird an der Rheinspange geplant, für sie gesprochen und gegen sie beziehungsweise ihren möglichen Verlauf gekämpft.
In diesem Zusammenhang hätte 2022 eigentlich ein entscheidendes Jahr für das Projekt sein sollen. In der Vergangenheit hatte die zuständige Autobahn-Gesellschaft des Bundes erklärt, dass zum Jahresende die sogenannte Vorzugsvariante für die Rheinspange feststehen soll, nachdem zunächst der Herbst 2022 dafür angepeilt war. Doch auch aus dem Termin zum Jahresende wird nichts. Erst vor wenigen Tagen hatte die Autobahn GmbH die nächste Verzögerung bei der Projektarbeit vermeldet. ,,Die Bekanntgabe der Vorzugsvariante der Rheinspange 553 wird voraussichtlich Ende Januar/Anfang Februar 2023 sein“, hatte Sabrina Kieback, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation der Niederlassung Rheinland der Autobahn GmbH, auf Anfrage des General-Anzeigers mitgeteilt. In diesem Zeitraum sollten dann auch mehrere Formate zur Information stattfinden, so Kieback. In Planung seien ein weiteres Dialogforum, ein politischer Begleitkreis sowie eine Infomesse.
Somit ist weiterhin Geduld gefragt. Wo soll die Rheinspange als Verbindung der Autobahnen 555 und 59 zwischen Wesseling/Bornheim und dem Kölner Süden (linksrheinisch) beziehungsweise Köln und Niederkassel/Troisdorf (rechtsrheinisch) einmal verlaufen? Und als Brücke oder Tunnel? Die Antwort auf diese Frage ist von mehreren Faktoren abhängig. Untersuchungsgegenstände für die insgesamt zwölf Varianten, die im Raum stehen, sind unter anderem die Auswirkungen auf Flora, Fauna und den Menschen, die Verkehrsentwicklung oder auch die Sicherheit der ansässigen Industriebetriebe.
Die Front zwischen Gegnern und Befürwortern der Rheinspange ist nicht immer leicht nachzuverfolgen. So war etwa Rhein-Sieg-Landrat Sebastian Schuster Ende Oktober mit einer Delegation aus der Region nach Berlin gefahren, um beim Bund für eine Tunnellösung zu werben. „Aus regionaler Sicht wäre es entsprechend wünschenswert, wenn es einen lokalen Konsens für die Rheinspange als Tunnellösung gäbe, sodass wir uns dafür gemeinsam in Bund und Land starkmachen können", hatte Schuster nach der Berlin-Reise dem General-Anzeiger gesagt. Diesen frommen Wunsch kann er sich aber abschminken. Die Kreiskommunen Bornheim und Troisdorf sowie Wesseling aus dem benachbarten Rhein-Erft-Kreis lehnen das Projekt auf ihrem Stadtgebiet ab.
Doch so einfach ist es auch wieder nicht. Beispiel Bornheim: Während die dortigen Grünen eine Rheinspange als „völlig aus der Zeit gefallen" erachten und rundherum ablehnen, haben CDU, SPD, FDP und die Unabhängige Wählergemeinschaft durchaus Sympathien dafür aber bitte nicht auf Bornheimer Gebiet, sondern im Kölner Süden bei Godorf, wie es auch die Bornheimer Stadtverwaltung vorschlägt. Das hat wiederum Ärger bei Bürgerinitiativen aus Köln gegen die Rheinspange hervorgerufen.
Bürgerinitiativen gegen die Rheinspange gibt es auch in Bornheim: eine gegen eine Querung nur im Bereich der eigenen Häuser, eine gegen das Projekt in Gänze. Und nicht vergessen werden sollten Unternehmer und deren Interessenverbände wie die Industrie- und Handelskammern Köln und Bonn/Rhein-Sieg, die sich zur Entlastung der vorhandenen Straßen eine Rheinspange wünschen, oder Umweltschutzorganisationen, die mit Blick auf Klimawandel und Verkehrswende kein gutes Haar an dem Projekt lassen.
In der Tat kristallisiert sich ein Tunnel bei Bornheim-Widdig und Wesseling-Urfeld als bevorzugte Variante heraus. Was dazu geführt hat, dass sich die beiden Städte nun Sorgen um ihre Wasserversorgung machen, die sich auch aus Grundwasser speist.
„Wir fahren 2030 über die Rheinspange", hatte ein damaliger Mitarbeiter des NRW-Verkehrsministeriums Ende September 2017 gesagt. Bis dahin sind es mittlerweile nur noch sieben Jahre. Und selbst wenn in ein paar Wochen wirklich feststehen sollte, welche Variante der Rheinspange als Vorzugstrasse konkreter geplant wird, ist der Startschuss für die Bauarbeiten noch lange nicht in Sicht. Es bedarf unter anderem noch einer Entwurfsplanung und eines Planfeststellungsverfahrens.
Und dann könnte es interessant werden. Schließlich bereitet sich die Stadt Bornheim bereits darauf vor, im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens gegebenenfalls gegen die Rheinspange zu klagen.