Umweltspuren, weniger Parkflächen, dafür mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger

Neue Verkehrsführung in Bonn: Experimente auf Asphalt

Neue Verkehrsführung auf der Viktoriabrücke: Autos dürfen seit geraumer Zeit nicht mehr nach rechts auf die Bornheimer Straße abbiegen. Das interessiert allerdings nicht jeden Verkehrsteilnehmer. FOTOS: BENJAMIN WESTHOFF

Umweltspuren, weniger Parkflächen, dafür mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger: Die Bonner Koalition krempelt den Stadtverkehr auf links. Doch wie rund läuft das eigentlich? VON PHILIPP KÖNIGS

So wie Weihnachten die Zeit der Verkündigung ist, so ist der Vorwahlkampf die Zeit der Ankündigung. Im Jahr 2020 war denn sowohl von der Mittlerweile-Oberbürgermeisterin Katja Dörner als auch von den Mittlerweile-Koalitionären aus Grünen, SPD, Linken und Volt zu hören, dass die Verkehrswende zu ihren Herzensanliegen gehöre. Entsprechend prominent fand sich dieses Thema nach der Wahl an vorderer Stelle in der Koalitionsvereinbarung wieder. Es dauerte dann noch eine Weile, bis die ersten Beschlüsse in dieser Richtung auch die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt erreichten.

In diesem Jahr sind den Ankündigungen doch einige Taten an zentralen Stellen des innerstädtischen Verkehrs gefolgt. Auch wenn die Neuverteilung des Verkehrsraums zugunsten von Radfahrern und Fußgängern kaum jemanden überrascht haben dürfte, lief die Kommunikation durch die Stadt alles andere als reibungslos ab.

- Kappung des Cityrings: Mitte März kappte die Stadt den Cityring, der unter Führung des alten Jamaika-Bündnisses bis dahin mal testweise geschlossen, dann wieder geöffnet wurde. Angekündigt hatte die Stadt einen fließenden Übergang: erst die Schilder, dann die Markierungen, dann die Kappung. Bloß wussten die Bauarbeiter vor Ort davon nichts. Und als die Schilder schon einmal angebracht waren, aber nichts organisiert war, um sie verhüllen zu können, galt die neue Verkehrsführung umgehend.

Zu mancher Verwirrung führte das auch, weil Navigationsgeräte noch für einige Zeit den direkten Weg in die Sackgasse wiesen, an deren Ende letztlich Poller standen. Von den Annehmlichkeiten für Radfahrer und Fußgänger, die seit dieser Zeit befreiter über Maximilian- und Wesselstraße gelangen, blieb in der Außenwirkung nicht viel übrig.

150 Stellplätze am Rheinufer fielen weg: Im März strich die Stadt den Parkraum bis zur Zweiten Fährgasse (hier die Bauarbeiten)
150 Stellplätze am Rheinufer fielen weg: Im März strich die Stadt den Parkraum bis zur Zweiten Fährgasse (hier die Bauarbeiten)

- Rheinufer: Ein paar Tage später strich die Stadt am Rheinufer in der Zweiten Fährgasse rund 150 Parkplätze mehr oder minder ohne Vorwarnung. Da das Koblenzer Tor in dieser Zeit gesperrt war, war die Ausweichstrecke am Rheinufer stark befahren, was zu Staus führte und den eigentlich zu vermeidenden Park-Such-Verkehr in der Südstadt erheblich verschärfte. Die Aktion im Frühjahr diente ebenfalls dazu, Radfahrern und Fußgängern mehr Raum am Rheinufer zuzuschlagen, mit einer mehr als einen Kilometer langen eigenen Radspur. Den vormaligen Parkraum können seitdem Flaneure nutzen.

- Umweltspuren: Oberbürgermeisterin Katja Dörner räumte Fehler in der Kommunikation ein und gelobte Besserung bei künftigen Eingriffen. Bei den Markierungsarbeiten auf der Oxfordstraße nach vorangegangener Asphaltsanierung im Sommer lief es besser. Die Ankündigungen für die Bussen und Radfahrern vorbehaltenen Umweltspuren in beide Richtungen kamen rechtzeitig, und auch die Maßnahme selbst wickelte das Tiefbauamt ziemlich geräuschlos ab. Mega-Staus blieben aus.

Das gilt im Übrigen auch für den Hermann-Wandersleb-Ring, den wichtigen Zubringer für Pendler aus dem Westen. Der Straße zwischen Duisdorf und Endenicher Ei verpasste das Tiefbauamt auf politischen Beschluss hin ebenfalls eine Umweltspur, die im Gegensatz zur Oxfordstraße allerdings vorläufigen Charakter zu Testzwecken hat.

Probleme gab es hier dennoch, wenn sie auch anderer Natur waren. Viele Autofahrer checkten trotz Schildern die Lage nicht und interpretierten die gestrichelte Linie stadtauswärts offenbar als Anreiz, die Umweltspur mitnutzen zu dürfen. Die im Oktober aufgebrachten gelben Markierungslinien lösten sich nach und nach, vermutlich aufgrund der Witterung. Die beauftragte Firma ersetzte sie auf Gewährleistung.

Viktoriabrücke: Im November lösten sich ebenfalls die provisorischen Markierungen auf der Viktoriabrücke, womit allerdings nach Auskunft des Tiefbauamts zu rechnen war. Dort waren Fachverwaltung und Ratsbündnis nach fast sechs Jahren der Brückensanierung der Auffassung, die bis dato geplante Verkehrsführung auf der Brücke sei nicht mehr zeitgemäß. Dem Radverkehr sei ebenso mehr Platz einzuräumen wie den Fußgängern, zulasten einer durchgängigen Fahrspur in Fahrtrichtung Wittelsbacherring.

Bloß dass bisher ungeklärt ist, ob die Bezirksregierung Köln als Zuschussgeberin mehrerer Millionen Euro für das Großprojekt Viktoriabrücke die neue Verkehrsführung für förderwürdig ansieht. Es bleibt vorerst bei der temporären Markierung, bis Baurecht für die Rampe von der Viktoriabrücke bis zum Alten Friedhof vorliegt, sagte der Kölner Regierungspräsident dem GA in einem Interview.

- Geschlossene Reihen: Allen Widrigkeiten zum Trotz ist auf dem kommunalpolitischen Parkett festzustellen, dass bei Fragen des fließenden Verkehrs zwischen die Bündnispartner kein Blatt Papier zu passen scheint. Im Jamaika-Bündnis, das in Bonn bis 2020 den Ton angab, waren Entscheidungen zur Cityring-Kappung oder zur Umweltspur auf der Kaiserstraße viel stärker von Kompromissen geprägt, mit denen insbesondere die Grünen-Fraktion gegen Ende der Zusammenarbeit zunehmend haderte.

Gleichwohl mehren sich dort gegenwärtig die Stimmen an der nicht Basis, dass die Verkehrswende schnell genug voranschreite. Einige Altvordere, aber auch Jüngere unken, dass die bisherigen Eingriffe mit dem Farbeimerchen erfolgt seien. Ganz falsch ist das aus deren Warte nicht.

Das Bündnis hat zwar beschlossen, vergünstigte Dauertickets für Schüler weiterführender Schulen und Bonn-Ausweis-Inhaber zu subventionieren. Und auch einige Mobilstationen mit überdachten Fahrradständern, E-Bike-Ladestationen Luftpumpen, mögen das Licht der Bonner Welt erblickt haben. Aber...

- Großprojekte dauern: Der Ausbau des Nahverkehrs oder die Umsetzung von Prestige-Projekten, die Alternativen zur Fahrt mit dem Auto attraktiver erscheinen lassen, kommen nicht recht voran. Der Umbau des Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) sollte nach Wunsch der Ratskoalition möglichst in dieser Wahlperiode beginnen. Noch liegen die bei einem Planungsbüro beauftragten Entwürfe aber nicht vor.

Wie viele zusätzliche Kosten sind den Bürgern in diesen Krisenzeiten zuzumuten?

Für die als oberirdische Trasse vom Hauptbahnhof zum Brüser Berg angedachte Westbahn hat das Land zwar Planungsgelder gewährt, aber wie schnell die Stadt in Zeiten des gravierenden Fachkräftemangels die dafür erforderlichen Stellen wird besetzen können, steht in den Sternen. Die geplante Verlängerung der Stadtbahn bis nach Buschdorf und die geplante Seilbahn auf den Venusberg könnten im nächsten Jahr die weiteren Planungsstufen erklimmen.

- Ausblick: Im Masterplan Innere Stadt stehen für das kommende Jahr der Start für den Umbau des Stiftsplatzes zu einem kleinen Park an, verbunden mit dem Wegfall der meisten Parkplätze. Der Beginn der Rheinufer-Neugestaltung ist ebenfalls geplant, wobei verkehrsberuhigende Maßnahmen in diesem Jahr schon eingeleitet wurden. Ab Mitte Januar 2023 beginnt das Tiefbauamt mit dem zwei Jahre dauernden Projekt ,,Verkehrsberuhigung Bornheimer Straße", verbunden mit einer Einbahnstraßenregelung stadtauswärts. Wer aus Norden kommend mit dem Auto Richtung Innenstadt will, hat auf Thoma-, Köln- oder Römerstraße auszuweichen.

Zwar erwarten die Stadtwerke Bus und Bahn die ersten neuen Straßenbahnen im kommenden Jahr. Sie haben zudem neue Stadtbahnen bestellt, um auf den für Pendler wichtigen Routen künftig in höherem Takt fahren zu können. Immer deutlicher wird aber in der letzten Zeit, dass der künftige Ausbau des Nahverkehrs wohl weniger am Fahrmaterial kranken wird als vielmehr am fehlenden Personal.

Unproblematisch ist das nicht. Es gehört zum politischen Standardvokabular, dass die richtige Vorgehensweise für eine gelungene Verkehrswende wäre, zunächst den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und erst anschließend Einschränkungen für den motorisierten Verkehr umzusetzen.

Während aber die ÖPNV-Großprojekte nur schleppend vorankommen, hat die Ratskoalition in ihrer Dezember-Sitzung bereits die Parkraumbewirtschaftung für die Bonner Nordstadt beschlossen. Die Anwohnerparkflächen mit einem Teil öffentlicher Parkplätze gegen Stundengebühr will die Stadt in der letzten Jahreshälfte 2023 ausweiten. Süd- und Weststadt sollen zügig folgen. Der Preis der Anwohnerparkausweise wird nach politischem Beschluss ab dem 1. März 2023 von jährlich bisher 30 Euro in einem ersten Schritt auf 180 Euro jährlich angehoben, ein Jahr später auf 360 Euro. Menschen mit wenig Einkommen, die Anrecht auf einen Bonn-Ausweis haben, können 75 Prozent dieser Kosten über das Amt für Soziales und Wohnen erstattet bekommen. Wer etwas mehr Gehalt bekommt, muss die volle Summe zahlen.

Der Umgang mit dem sogenannten ruhenden Verkehr enthält deshalb mehr sozialen Brennstoff als der Umgang mit dem fließenden Verkehr. An den innerparteilichen Diskussionen der Bündnis-Fraktionen ist ablesbar, dass die Frage im Raum steht: Wie viel zusätzliche Kosten sind den Bürgern in diesen Krisenzeiten zuzumuten?