Gewinner und Verlierer

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Wahl-Triumph

Hendrik Wüst bleibt NRW-Ministerpräsident und führt seine CDU in eine neue Koalition mit den Grünen

Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass es gerade Hendrik Wüst sein würde - der gescheiterte Generalsekretär aus der Rüttgers-CDU und eher blasse Verkehrsminister aus dem Laschet-Kabinett -, der die nordrhein-westfälische CDU zu einem triumphalen Sieg bei der Landtagswahl 2022 führen würde? Und der seiner Partei mit der ersten schwarz-grünen Koalition - wenn sie funktioniert - eine Machtoption bieten kann, die die CDU auf Jahre in der Landesregierung halten könnte?

35,7 Prozent holte Wüst am 15. Mai mit seiner CDU, genau neun Prozentpunkte mehr als die SPD mit Herausforderer Thomas Kutschaty. Dabei hatten Wahlforscher zuvor noch ein enges Rennen prognostiziert. Es waren zwar nur gut sechs Monate, seitdem Armin Laschet das Ministerpräsidenten-Amt sowie den CDU-Landesvorsitz aufgegeben hatte und Wüst in beide Positionen hineingewählt worden war, aber in dieser Zeit konnte sich der Mittvierziger aus dem Münsterland tatsächlich einen Amtsbonus erarbeiten.

Wüst war viel im Land unterwegs, dank des Vorsitzes in der Ministerpräsidentenkonferenz auch mehr bundesweit präsent, und er zeigte in der Corona-Pandemie klare Kante gegenüber der FDP als Laschet. Im Tandem mit Grünen-Chefin Mona Neubaur legte Wüst bei der Koalitionsbildung ein hohes Tempo vor. Schon knapp sechs Wochen nach der Wahl stand das neue Bündnis. Danach allerdings gab es erstmal Sommerferien und auch später waren die großen Innovationen auf Landesebene noch nicht erkennbar.

Zugutehalten muss man der Koalition sicher, dass sie in ihren ersten Monaten eher im Krisenmodus gefangen war: Die Sorge um die Energiesicherheit, die Unterbringung und Versorgung Hunderttausender ukrainischer Flüchtlinge, die Inflation und soziale Notlagen waren bestimmende Themen. Dass all das nicht einfach zu finanzieren sein würde, war klar. Doch dass Wüsts Regierung im Herbst zwei aus Sicht des Landesrechnungshofs verfassungsrechtlich problematische Haushaltspläne aufstellte und damit finanzpolitische Angriffsflächen bot, das überraschte dann schon. Im neuen Jahr müssen Schwarz und Grün nun zeigen, ob sie ihre geplanten Politikprojekte auf den Weg bringen können. ye

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Auf Anhieb ins Amt gewählt

Cornelia Weigand ist neue Landrätin an der Ahr

Knapp ein Jahr liegt ihre Wahl inzwischen zurück. Längst nicht jeder hätte mit ihrem Sieg gerechnet, schon gar nicht im ersten Durchgang. Die Rede ist von Cornelia Weigand. Die parteilose Politikerin, ehemals Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, wurde im Februar als Landrätin des schwer von der Flutkatastrophe im Juli 2021 getroffenen Kreises Ahrweiler vereidigt. Beim Urnengang Ende Januar setzte sich Weigand, Jahrgang 1971, überraschend auf Anhieb mit der nötigen absoluten Mehrheit durch. Mit 50,2 Prozent der Stimmen ließ sie den zweitplatzierten Ersten Kreisbeigeordneten und Landtagsabgeordneten Horst Gies (CDU), der auf 28,2 Prozent kam, deutlich hinter sich.

Mit ihrer Wahl durchbrach Weigand die jahrzehntelange Vorherrschaft der Christdemokraten im Kreishaus, die seit 1951 stets den Landrat gestellt hatten. Der letzte Amtsinhaber aus den Reihen der Union, Jürgen Pföhler, wurde nach der Flut in den Ruhestand versetzt. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Pföhler soll die Menschen im Ahrtal, wo bei der Flut mindestens 134 Menschen starben, zu spät gewarnt haben. wes

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Laufende Erfolge

Konstanze Klosterhalfen ist Europameisterin

Drei Tage nach einem undankbaren vierten Platz über 10000 Meter rennt Konstanze Klosterhalfen, angespornt durch die Goldmedaillen der anderen deutschen Leichtathleten und unter tosendem Beifall der Zuschauer im Münchener Olympiastadion, zum historischen EM-Titel und dem größten Triumph ihrer Karriere. Als erste Deutsche kürte sich die 25-Jährige aus Königswinter-Bockeroth zur Europameisterin über 5000 Meter.

Vergessen sind die beiden vergangenen Jahre, in denen sie immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen wurde. Vergessen die Corona-Infektion, die ihre Teilnahme an den Finals in Berlin im Juni kurzfristig verhinderte. Vergessen das klare Vorlauf-Aus über 5000 Meter bei ihrer Heim-WM in Eugene im Juli. Auf ihrer Goldmedaille ruhte sich Klosterhalfen aber nicht aus. Im Oktober gab die 25-Jährige in Valencia ihr Halbmarathondebüt: Sie gewann nicht nur das Rennen, sondern lief die drittbeste von einer Europäerin je aufgestellte Zeit. Für ihre Leistungen erhielt Klosterhalfen Anfang Dezember den Titel ,,Läuferin des Jahres", ehe sie zum Jahresabschluss das deutsche Team bei der Cross-EM in Turin zu Mannschaftsgold führte. bsb

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Starke Stimme aus Wachtberg

Anny Ogrezeanu ist ,,The Voice of Germany"

Gleich an zwei Orten in der Region durfte am 11. November gejubelt werden. Verantwortlich dafür war eine 21-Jährige, die gerade die TV-Castingshow,,The Voice of Germany" gewonnen hatte. Die Wachtbergerin Anny Ogrezeanu konnte nicht nur in ihrer Heimatgemeinde auf einen großen Unterstützerkreis setzen, auch im Ahrtal standen etliche Freunde und Bekannte hinter ihr.

„Meine andere Familie" nannte die Nachwuchssängerin die Menschen, mit denen sie dort in den vergangenen Monaten tatkräftig die Schäden der Flutkatastrophe beseitigt und den Wiederaufbau mitangeschoben hat. Noch kurz vor dem Halbfinale der Musik-Show war sie dort im Einsatz. ,,Ich werde zurückkommen", sagte sie nach dem Erfolg, der in eine Musikkarriere führen soll. Zuvor hatte sich Ogrezeanu über Wochen in der TV-Show zur starken Stimme aus dem Drachenfelser Ländchen emporgeschwungen. Im Finale erhielt das Talent die meisten Zuschauerstimmen - knapp 42 Prozent stimmten für Ogrezeanu. Einer der ersten Gratulanten war Popstar Mark Forster. In Wachtberg wurde die 21-Jährige nicht nur vom Bürgermeister empfangen, sie sang auch in ihrer ehemaligen Schule. aba

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Aufstieg in den Landtag

Tim Achtermeyer wird Chef der NRW-Grünen

Das Jahr hätte nicht viel besser laufen können für Tim Achtermeyer. Der Bonner Grünen-Politiker ist im Mai 2022 in den Düsseldorfer Landtag eingezogen. Kurz darauf wählten ihn die Landesgrünen neben Yazgülü Zeybek zum Landesvorsitzenden der nordrhein-westfälischen Grünen. Der erst 29 Jahre junge Achtermeyer hatte sich am Wahltag mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Guido Déus ein Duell auf Messers Schneide geliefert. Den Direkteinzug in den Landtag verpasste er zwar mit 29,31 Prozent knapp, über die Reserveliste zog er dennoch ein. Trotz seines jungen Alters hat der gebürtige Mönchengladbacher, der in Bonn aufwuchs, schon Erfahrung in der Kommunalpolitik. Erste Schritte in Richtung Politik unternahm er bereits als Schüler des Ernst-Kalkuhl-Gymnasiums. Er gehörte in dieser Zeit bereits der Bundesschülerkonferenz an, die sich mit Bildungsfragen von überregionaler Bedeutung befasst. Mit gerade mal 18 Jahren schickten ihn die Bonner Grünen als sachkundigen Bürger in den Schulausschuss. Seit 2016 gehörte er dem Stadtrat an, bis zu seinem Ausscheiden nach der Landtagswahl als Fraktionssprecher an der Seite von Annette Standop. kph

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Weich gefallen

Lutz Leide arbeitet nicht mehr, aber verdient weiter

Bei Lutz Leide hängt es ganz von der Perspektive ab, ob man ihn als Verlierer betrachtet - oder lieber doch als Gewinner. Zwar hat der 57-Jährige seinen Job als Leiter des Städtischen Gebäudemanagements Bonn (SGB) verloren, aber der Manager fällt weich. Oberbürgermeisterin Katja Dörner stellte ihn im Mai mit sofortiger Wirkung frei, nachdem man sich offiziell auf einen Aufhebungsvertrag geeinigt hatte. Tatsächlich war es ein Rauswurf. In vertraulichen Ratsvorlagen nannte Dörner das Vertrauensverhältnis ,,dauerhaft gestört". Sie hatte das Rechnungsprüfungsamt auf den SGB-Chef angesetzt, weil der mit Aus* sagen zu einer womöglich bald nötigen Räumung des Stadthauses für Verwirrung gesorgt hatte.

Auch das Chaos in der Beethovenhalle bekam Leide, 2019 von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben abgeworben, nicht in den Griff. Für eine Kündigung hätte das aber aus juristischer Sicht nicht gereicht. Und so wurde die Trennung teuer für die Stadt. Formal bleibt er bis Juni 2023 beschäftigt, mit einem Jahresgehalt von 198206,76 Euro Euro. Eine Abfindung von 200 000 Euro kommt hinzu. Und sollte er zeitnah einen neuen Job finden, darf er das Geld trotzdem behalten. bau

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Politischer Paria

Gerhard Schröder bleibt Putins Freund

Warum er handelt wie er handelt? Das wissen angeblich nicht einmal enge Weggefährten. Aber Gerhard Schröder möchte nicht lassen von der Freundschaft zu Wladimir Putin. Obwohl der Kreml-Herrscher nicht nur alles andere als ein „lupenreiner Demokrat" ist, sondern ein Warlord, der sein Nachbarland verwüstet und Kriegsverbrechen zu verantworten hat. Ein deutscher Ex-Kanzler stellt sich gegen die Politik der Bundesregierung, gegen seine eigene Parteiein Novum. Schröder ist damit zum Paria auf der politischen Bühne geworden, seine Privilegien als Ex-Kanzler wurden gestrichen. Die SPD bemüht sich, ihr ehemaliges Zugpferd loszuwerden. Zudem hat die Partei ein Kernelement Schröderscher Reformpolitik kassiert: Das von Arbeitsminister Hubertus Heil vorgelegte Bürgergeld ersetzt das von der SPD nie angenommene Hartz-IV-System. Schröder selbst ist abgetaucht, verteidigt sich nicht, erklärt sich selten. Noch im August besuchte er Moskau. Dort meinte er, im Kreml Anzeichen für Gesprächsbereitschaft entdeckt zu haben und plädierte für eine Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 1. Einen Monat später zerstörte ein mutmaßlich russischer Sprengsatz die Rohrleitung. pfu

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Polarisierung als Prinzip

Politik-Professorin Ulrike Guérot eckt gerne an

Zwei veröffentlichte Bücher, zahlreiche Auftritte bei Talkshows, Kundgebungen oder auf anderen großen Bühnen, ganz viel geäußerte Meinung - und mindestens genauso viel Gegenwind: Ein turbulentes Jahr liegt hinter Ulrike Guérot, die seit September 2021 eine Professur für Europapolitik am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Uni Bonn innehat.

Guérot prangerte - unter anderem in ihrem Buch ,,Wer schweigt, stimmt zu" - die Corona-Maßnahmen in Deutschland an, die ihr viel zu weit gingen. Dafür gab es heftige Kritik in der Öffentlichkeit und auch von Studenten der Uni Bonn, von denen einige sogar ihren Rücktritt als Professorin forderten.

Inzwischen kamen Plagiatsvorwürfe zu zwei ihrer Publikationen auf, und Guérot polarisiert weiter: nun mit ihren Äußerungen zum Ukraine-Krieg. Dieser sei ein lang vorbereiteter amerikanischer ,,Stellvertreterkrieg", schreibt sie in ,,Endspiel Europa", ihrem jüngsten Buch. Was folgte, war die erneut erwartbare, heftige Kritik (diesmal auch von Professoren-Kollegen) auf der einen Seite und das Pochen auf Meinungsfreiheit auf der anderen Seite. Die Empörungsspirale dreht sich munter weiter. wkm

Spätes Flutopfer

Roger Lewentz tritt als Innenminister zurück

Roger Lewentz war als Innenminister qua Amt oberster Katastrophenschützer in Rheinland-Pfalz, als die Flutwelle im Juli 2021 durch das Ahrtal rauschte. Dass er 15 Monate später sein Amt aufgeben musste, ist eine Spätfolge des Flutgeschehens. Nach elf Jahren im Amt übernehme er die politische Verantwortung für in seinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler, erklärte Lewentz im Oktober. Konkret ging es etwa darum, dass mehr als ein Jahr nach der Flut Videos aus einem Polizeihubschrauber sowie ein Bericht der Besatzung aufgetaucht waren. Beide zeigen die Dramatik der Flutwelle und sie beweisen, dass es kein punktuelles Hochwasser war, wie es Lewentz und Vertreter seines Ministeriums bis dahin - unter anderem in Vernehmungen im Untersuchungsausschuss - immer wieder behauptet hatten.

SPD-Landeschef ist er erst einmal geblieben. Dass er aber weiter der starke Mann in der rheinlandpfälzischen Sozialdemokratie sein wird, glaubt kaum jemand. Kürzlich hat ihn die Landtagsfraktion zu ihrem verteidigungspolitischen Sprecher gemacht. Sich selbst und sein Verhalten in der Flutkatastrophe zu verteidigen braucht er jetzt ja nicht mehr. ye

Oberhirte auf Abruf

Rainer Maria Kardinal Woelki ist seit März wieder im Kölner Bischofsamt, doch die Vertrauenskrise bleibt

Seit Aschermittwoch ist Rainer Maria Kardinal Woelki wieder im Amt. Bevor er aber seine mit dem Papst vereinbarte geistliche Auszeit beendete und seine Geschäfte als Kölner Erzbischof wieder aufnahm, musste er Franziskus ein Rücktrittsgesuch übermitteln. Das liegt seitdem vermutlich in einer päpstlichen Schublade. Und so ist Woelki weiterhin ein Erzbischof auf Abruf.

Er wolle vor allem zuhören, kündigte er nach seiner Rückkehr im März an. Mit möglichst vielen wolle er über ihre Enttäuschung, ihren Ärger, ihre Vorwürfe und Erwartungen reden. Doch es dauerte nicht lange, da war in Köln zu hören, dass es mit dem Zuhören nicht weit her sei. Es begannen ähnliche Diskussionen wie vor Woelkis Auszeit. Etwa um die Frage, ob der Kardinal Vergehen ihm nahe stehender Priester nicht sanktioniert hat, oder um Enthüllungen zu PR-Strategien des Erzbistums. Hinzu kam der Streit um die kostspielige Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT), bei der es Woelki bislang nicht gelungen ist, sie dauerhaft mit Finanzmitteln auszustatten. Zudem liegt er mit dem Land im Clinch, das auf der Theologenausbildung ausschließlich an der Uni Bonn besteht. Gremienvertreter sehen weiterhin eine Vertrauenskrise und verweigern die Teilnahme an Sitzungen.

Zunehmend verlagern sich Auseinandersetzungen in die Gerichtssäle. Woelki prozessiert gegen die ,,Bild"-Zeitung, sieht sich Klagen der ehemaligen Justiziarin und der früheren KHKT-Geschäftsführerin ausgesetzt und muss nun auch fürchten, dass eine Zivilkammer am Kölner Landgericht einer Schmerzensgeldklage eines Missbrauchsbetroffenen stattgibt. Der ehemalige Messdiener fordert bis zu 800 000 Euro. Es könnte der Anfang vom Ende der kirchlichen Praxis der freiwilligen Anerkennungsleistungen für Missbrauchsbetroffene sein. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, bezeichnete jüngst die Situation für das Erzbistum und den Kardinal als ,,zunehmend unerträglich". All das läuft vor dem Hintergrund, dass die Kirchenaustrittszahlen immer weiter steigen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Glaube nur noch ein Randaspekt ist. ye