Wechsel im Kreishaus, über 100 Tote und Vermisste, die Wiederherstellung der Verkehrsinfrastruktur, Wärmeversorgung, Aufbauhilfen, Tourismus

Ein Jahr nach der Flut in Ahrtal im Juli 2021

Drohnenaufnahme von Ende November: Der Wiederaufbau im Altenahrer Ortskern schreitet nach der Flut allmählich voran FOTOS: DPA

Mehr als 17 Monate sind seit der Katastrophe vergangen. Menschen werden noch immer vermisst, der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Restaurants öffnen zwar wieder, doch die meisten Hotels bleiben geschlossen. Die neue Landrätin muss derweil Konflikte im eigenen Haus meistern

Die Flut im Juli 2021 hat das Ahrtal für immer verändert. Inzwischen liegt die Katastrophe, bei welcher der Pegel des kleinen Flusses Ahr auf um die zehn Meter anschwoll, fast anderthalb Jahre zurück. Doch wo steht die Region heute? Wie weit ist der Wiederaufbau vor Ort, der Experten zufolge sogar ein ganzes Jahrzehnt in Anspruch nehmen könnte? Zeit für einen Blick auf den Stand der Dinge.

Wechsel im Kreishaus: 2022 ist das Jahr, in dem der Kreis Ahrweiler erstmals eine Landrätin bekommen hat. Eine sieben Dekaden währende CDU-Ära ging zu Ende. Beides hängt mit der Flut zusammen. Denn der vorerst letzte Amtsinhaber der Union, Jürgen Pföhler, beantragte danach erst die Dienstunfähigkeit und wurde anschließend in den Ruhestand versetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen möglicher fahrlässiger Tötung und Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Der Grund: Pföhler könnte die Menschen im Kreis zu spät vor der Flut gewarnt haben.

Weigand, zur Zeit der Flut Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, Macherin zeigte sich sowohl als als auch medial präsent, so war sie etwa im ZDF bei Talkmaster Markus Lanz zu Gast. Im Januar wurde Weigand dann (dennoch für viele überraschend) gleich im ersten Wahlgang zur neuen Landrätin gewählt: Mit 50,2 Prozent der Stimmen erzielte sie auf Anhieb die absolute Mehrheit. Die Amtseinführung folgte im Februar. Seither führt sie die Ahrweiler Kreisverwaltung - und muss so manchen Konflikt meistern. Einen ihrer Mitarbeiter zeigte sie sogar an. Grund war dessen angeblich falsche Aussage im Untersuchungsausschuss zur Flut. Die Staatsanwaltschaft sah anschließend jedoch von Ermittlungen ab.

Tote und Vermisste: Mindestens Wassermassen 134 Menschen sind im Ahrtal in den umgekommen. Zwei werden noch vermisst. Für einen der beiden ist jüngst ein Verfahren zur Todeserklärung eingeleitet worden. Angehörige des jungen Mannes aus Bad Neuenahr-Ahrweiler haben sich dafür an das örtliche Amtsgericht gewandt, wie der Opferbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Detlef Placzek, kürzlich der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.

Straßen: Große Teile der Verkehrsinfrastruktur wurden bei der Flutkatastrophe zerstört. So etwa der Straßentunnel in Altenahr, unter dem die Wassermassen einen riesigen Krater hinterließen. Im September, nach mehr als einem Jahr, war die Sanierung des Tunnels abgeschlossen, sodass er freigegeben werden konnte. Die Bundesstraße 267, die auch oberhalb des Tunnels stark beschädigt wurde, war damit wieder durchgängig befahrbar. Auf die Wiederherstellung des Radwegs entlang der Ahr warten die Menschen dagegen bis heute. In der Bad Neuenahrer Innenstadt, wo derzeit wieder Geschäfte öffnen, muss eine Straße noch einmal für Jahre aufgerissen werden, um Versorgungsleitungen neu zu verlegen.

Gleise: Immerhin teilweise wiederhergestellt ist die Ahrtalbahn. Bereits seit Ende 2021 fahren die Züge wieder bis Walporzheim. Den noch fehlenden Streckenabschnitt bis Ahrbrück will die Deutsche Bahn bis 2025 wiederherrichten. Ein Ziel, das der Sprecher der Interessensgemeinschaft Freunde der Ahrtalbahn, Wolfgang Groß, für durchaus realistisch hält. ,,Wobei ich eher mit Ende 2025, Anfang 2026 rechne", sagte Groß dem GA kürzlich. Die Haltepunkte der Ahrtalbahn könnten bis dahin andere sein. Im Gespräch ist, den Bahnhof von Heimersheim nach Lohrsdorf zu verlegen. Ein weiterer Haltepunkt in Heppingen könnte dazukommen, ebenso einer in Marienthal.

Wärmeversorgung: Die Kreisverwaltung Ahrweiler teilte im Oktober auf GA-Nachfrage mit, dass es im von der Flut betroffenen Gebiet noch immer Häuser ohne Heizungen gebe. Eine Rolle spielten dabei der Fachkräftemangel sowie die durch die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg nachhaltig gestörten Lieferketten und Materialflüsse. Die Wärmeversorgung, heißt es aus dem Kreishaus, werde durch die jeweiligen Kommunen individuell geplant und umgesetzt. Dort fehlte damals der Überblick.  Der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler lagen nach eigenen Angaben keine Informationen darüber vor, ob und in wie vielen Haushalten es an einer funktionierenden Heizung fehlt.

Ein positives Signal mit Blick auf die Energieversorgung gab es im November in Marienthal. Dort gab Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) den Startschuss zur Inbetriebnahme des Nahwärmenetzes. Das mit Holz und Sonne gespeiste Nahwärmenetz gilt als ein Zukunftsmodell für Rheinland-Pfalz.

Aufbauhilfen: Etwa 2200 vollständige Anträge von Privatleuten zum Wiederaufbau von Gebäuden sind laut Thomas Weimer, Leiter des Verbindungsbüros der Landesregierung im Ahrtal, bis August bei der Investitions- und Infrastrukturbank Rheinland-Pfalz eingereicht worden. Bewilligt wurden demnach etwas über 1900, beim Hausrat gelte dies für 9400 von knapp über 10000 vollständigen Anträgen. Allerdings hat noch längst nicht jeder Flutbetroffene den Antrag (den Kritiker für zu bürokratisch halten) überhauptgestellt. „Die Gründe dafür sind unterschiedlich und können von Scheu vor der Inanspruchnahme von Hilfe bis zu Unwissenheit reichen“, sagte Katja Daub, Sachbearbeiterin im Antragswesen bei den Johannitern, dem GA noch im Dezember.

Tourismus: Für die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler und das gesamte Ahrtal gilt, dass die großen Hotels im Überflutungsgebiet bis auf ganz wenige Ausnahmen noch geschlossen sind, berichtet Günther Uhl, Vorsitzender des Deutschen Hotelund Gaststättenverbands Mitte Dezember auf GA-Anfrage. Restaurants und andere Gastronomiebetriebe öffnen dort gleichwohl mehr und mehr ihre Pforten. Was die Verfügbarkeit der Betten im Ahrtal angeht, so geht aus einer Grafik, die Uhl dem GA zur Verfügung gestellt hat und die sich auf Daten des Statistischen Landesamts stützt, hervor, dass in Bad Neuenahr-Ahrweiler im September im Vergleich zu 2019 nur 35 Prozent zur Verfügung standen, in der Verbandsgemeinde Altenahr sogar nur 20 Prozent. Deutlich besser sieht es etwa in Sinzig und Adenau aus, wo die Bettenkapazität wieder bei 100 beziehungsweise 98 Prozent liegt. Allerdings gibt es dort auch weniger Betten.