Alles was man zum Leben braucht und dazu eine höchst kreative Mischung aus Handwerk, Gewerbe und Gastronomie

Bonner Altstadt: Mehr als nur Kirschblüte

Die Bezeichnung "Altstadt" ist in großen Lettern als „Eingangstor" am Beginn der Breite Straße zu lesen. FOTO: SASCHA STIENEN

In einer Reihe mit den Champs Elysées in Paris und der Lombard Street in San Francisco zählt die Bonner Heerstraße zu den 15 schönsten Straßen der Welt - so jedenfalls laut Ranking eines Reiseanbieters. Zu diesem Ruhm kommt sie wegen ihrer prächtigen Kirschblüten im Frühjahr, die alljährlich Touristenströme von nah und fern anziehen. Diese vergängliche Pracht findet sich freilich in gesamten Viertel der Altstadt. Die hat allerdings noch viel mehr Spannendes zu bieten.


Zunächst: Die Bezeichnung „Altstadt", in großen Lettern als „Eingangstor" am Beginn der Breite Straße zu lesen, ist ein Werbegag findiger Gastwirte, die hier nach Kölner und Düsseldorfer Vorbild eine Kneipenmeile etablieren wollten. Dabei ist das einstige Handwerkerviertel, offiziell die Innere Nordstadt, gerade mal 100 Jahre alt. Die eigentliche Altstadt Bonns zwischen Rheinufer und Marktplatz wurde 1944 bei einem Bombenangriff unwiederbringlich zerstört.

"Es entstand ein buntes Viertel mit einem ganz besonderen Charakter, wo es alles gibt, was man zum Leben braucht und dazu eine höchst kreative Mischung aus Handwerk, Gewerbe und Gastronomie"

Eigentlich gab es in den 1970er Jahren nach dem Bau des Stadthauses, dem viele Gründerzeithäuser weichen mussten, Bestrebungen, hier, in dem von grauen Fassaden und gefährlichem Durchgangsverkehr, schmutzintensivem Gewerbe und diversen Schrottplätzen geprägten Stadtteil, weitere alte Gebäude abzureißen. Doch dem wehrte Brigitte Denkel, die frisch von der Uni als Stadtplanerin nach Bonn kam. Sie erkannte, dass zwar die Fassaden bröckelig und die Hinterhöfe betoniert und mit Baracken verschandelt waren, aber die Substanz der alten Bauten, von denen viele um 1900 entstanden, gut und erhaltenswürdig war. Also wurden Planungen erstellt, die Straßen durch Pflastersteine und Verschwenkungen zu beruhigen und mit Pflanzen zu verschönern.

Bei der Sanierung wurden schließlich zwischen 1984 und 1994 mit Geldern aus einem Sonderförderprogramm fünf Grünflächen angelegt, 15 Straßen umgestaltet, 40 Höfe begrünt, 90 Fassaden der denkmalgeschützten Häuser restauriert und 400 Straßenbäume gepflanzt.

Weil den hiesigen Baumschulen der Weißdorn eingegangen war, hatte Denkel die Idee, die größeren Straßen mit japanischen Zierkirschen zu säumen.

Die Großbetriebe verschwanden, und es entstand ein buntes Viertel mit einem ganz besonderen Charakter, wo es alles gibt, was man zum Leben braucht und dazu eine höchst kreative Mischung aus Handwerk, Gewerbe und Gastronomie. Neben Lebensmitteldiscountern findet man hier noch zwei uriger Kioske, den Grünen Laden der DLS Vollkorn-Mühlenbäckerei GmbH, den Weltladen für fairen Handel, das Fischgeschäft Maroc Shop, asiatische und lateinamerikanische Spezialitäten. Sobald es wärmer wird, spielt sich in der Altstadt das Leben auf der Straße ab.

Besonders beliebt ist das „Café Pawlow", das Kaffee, Tee & Kuchen, Bier, Wein oder Spirituosen, deftige Snacks und Knabbereien auf der Sonnenterasse anbietet. Neben charmanten Cafés und zwei Eisdielen gibt es Restaurants mit Spezialitäten vieler Länder: Ein Stück Spanien ist das Ecklokal ,,San Telmo" mit den rustikalen großen Holztischen, an denen man in familiärer Atmosphäre leicht Kontakt bekommt, portugiesisch speist man in der ,,Casa Pedro", italienisch im ,,Ristorante Borsalino“, indisch im ,,Mogul" oder ,,Taj India“. Über viele Jahre führte Elke Hausmann in der Breite Straße die legendäre „Frau Holle", für viele Gäste das Wohnzimmer der Altstadt, seit Ende 2021 haben Basim Ghomorlou und Katharina Müller hier das ,,Café Camus", ein,,Philosophencafé“ für Künstler, Denker und Jazzliebhaber im Stil des französischen Bistros geschaffen, in dem es Schallplatten, Bücher und Kunst zu kaufen gibt und regelmäßig Diskussionsveranstaltungen angeboten werden. Dazu passen die Buchläden ,,Le Sabot" und die „Altstadtbuchhandlung" von Hartmut Löschke, das Antiquariat Walter Markov sowie die Kunstorte. Die ,,Galeria Galeano, Café de Arte" in der Wolfstraße verfolgt als Oase der Muse einen integrativen Ansatz von Kunstangebot und Kunsterlebnis mit fachmännischer Beratung und einem attraktiven Rahmen für ein vielfältiges Programm. Hier treffen sich Kunstbeflissene und Neugierige, um in Ruhe die Werke zu betrachten und auszuwählen und sich mit Gleichgesinnten und Andersdenkenden auszutauschen.

Hinter einem grünen Tor in der Kölnstraße verbirgt sich in idyllischer Lage eines Hinterhofes die „kunst BRENNEREI". Wo einst Schnaps gebrannt wurde, teilen sich Künstlerinnen und Künstler den Atelierraum, einen Werkraum für bildhauerische Arbeiten und ein idyllisches Gartenatelier. Und im S. Y. L. A. NTENHEIM / Kunstversorgungsquartier in Bonn in der Maxstraße kann jeder und jede die Ausstellungsräume temporär nutzen. In der gleichen Straße ist der Ausstellungsraum „artMaxe", in der Breite Straße die ,,UPDATE GALLERY". Kinder werden in der ,,artefact" Jugendkunstschule in der Heerstraße an das kreative Werkeln herangeführt. Und ein paar Häuser weiter befindet sich eine Künstlervermittlung für Kabarett und Comedy.

Die Altstadt eignet sich auch primafür einen Schaufensterbummel. Da gibt es in der Breite Straße Geschenke bei ,,Love your Local Conceptstore", Souvenirs beim „Platzhirsch", Second Hand-Kleidung bei ,,Kunterbunt", Schönes für Zuhause im ,,Room Nine Pop Up Outlet", Küchen im ,, Shellsons House & Kitchen Loft", Jugendstil-, Art Decound Kristallleuchter beim „Lampenkönig", Kleidung bei ,,Wilde Zeiten", Schmuck in der Goldschmiede ,,ichos"., Antik-Uhren bei Gantner und Blumen bei Carola Engels, in der Heerstraße Brillen im „Haus des Sehens" und Kleidung und Kunsthandwerk bei ,,Double Six". Auffällig sind die vielen Angebote für das perfekte Styling - mit Frisörgeschäften wie ,,Barberkunst bei Shivan“, „Art of Hair" (Paul Mitchell), Friseur Hamo, Barbershop Fatih, Hugo Suares Frisör und Frisör Bracklow, dem ,,Beauty Life" (Kosmetik, Parfümerie, Fußpflege) und dem Tätowierfachgeschäft Tintenstich“. Eine Besonderheit ist das Atelier Rainer Roeder, das hochwertige Röhrenphonoverstärker anbietet.

Aus der alten Handwerkertradition hat sich in der Altstadt auch noch einiges erhalten, in der Breite Straße etwa der Schuhmacher Alexander und Rainer Dintner, wo seit 1957 Orthopädie, Schuhtechnik, Maßschuhe, Einlagen und Schuhzurichtungen zuhause sind, die Fotografin Victoria Harlos oder der Schlüsseldienst Klemens Hallmann, und in der Heerstraße die Werkstätten für Malerarbeiten Jaensch GmbH, die Schreinerei DerHolt(z)mann und die Polsterei Fuhs.

In der Nacht erwacht dann die Kneipenszene zum Leben: in der Breite Straße reihen sich Steinbeck", ,,Babel", Pinte“, „Lichtblick“, ,,UnfassBar",,,Craftquelle“, „Jaz“, in der Heerstraße ,John Barleycorn" (im ehemaligen Bierhaus Machold), ,,The Quiet Man",„NES“ und nur ein paar Schritte weiter die ,,Zone Blues Bar", ,,The Pub Bonn" (an Stelle des „Anno Tubac“), „Flynn's Inn“, „Tresor“ und die Traditionskneipe ,,Nyx". Ob man mit Freunden Fußball gucken will, Craft Beer oder lieber Whiskey trinken möchte-in der Bonner Altstadt wird man fündig. BRIGITTE LINDEN