Expertin Susanne Gura erklärt, warum die Vielfaltssorten unschätzbar wichtig für die Landwirtschaft und für die Ernährung in der Zukunft sind.

Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt in Bonn: Alt, aber wichtig

Weil Tomaten so beliebt sind, werden sie Botschafter der Vielfalt genannt - wenn sie aus den Samen alter Sorten gewonnen wurden.  FOTO: SUSANNE GURA

AIte Sorten - klingt erst mal nach Auslaufmodell. Dabei ist der Begriff ein Qualitätsmerkmal bei der Artenvielfalt. Und genau die steht durch Überzüchtungen und Verdrängung durch Massenprodukte sowie durch gedankenlosen Umgang mit Lebensmitteln auf dem Spiel.

Wenn es in Bonn eine Expertin für Vielfaltssorten gibt, dann ist es Susanne Gura. Die Ernährungswissenschaftlerin hat ihre ehrenamtliche Energie in den Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt gestellt: Den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt hat sie lange Zeit geleitet. Inzwischen ist sie im Ruhestand und engagiert sie sich vor allem im Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e. V., den sie mitgegründet hat. Sie kämpft außerdem in einem regionalpolitischen Verein gegen die Versiegelung von Naturräumen durch Neubaugebiete und gegen den Bau von Autobahnen.

,,Zum Glück sind Vielfaltssorten inzwischen zumindest wieder in viele Hausgärten zurückgekehrt", sagt Susanne Gura. So können sie nicht verlorengehen, denn sie haben unbezahlbare Eigenschaften.
Seit Beginn der Landwirtschaft wird selbstverständlich Saatgut von Pflanzen für die nächste Aussaat gewonnen. Geistige Eigentumsrechte und Hybridtechnik, die von der Saatgutindustrie genutzt werden, beschränken rechtlich und technisch die Saatgutvermehrung. Erst als Gegensatz zu Hybridpflanzen wurde ein Begriff für das Selbstverständliche erforderlich: ,,Samenfest" sind Sorten, die - wie seit jeher - sortenrein weiter vermehrt werden können. Darunter auch die Vielfaltssorten.

Verdrängung durch Großkonzerne

Ein Blick in die Geschichte - sehr schön dargestellt auf der Informationsseite nutzpflanzenvielfalt.de -   verdeutlicht die Entwicklung. Früher wurden Obst und Gemüse in kleinen landwirtschaftlichen Betrieben und Hausgärten angebaut. „Jedes Jahr wurde von dem angebauten Gemüse Saatgut für den Anbau in der nächsten Saison gewonnen. Landwirte und Hausgärtner waren zugleich auch Pflanzenzüchter. Sie entwickelten durch Auslese und Saatgutgewinnung samenfeste Sorten mit für sie günstigen Eigenschaften. So entstanden über die Jahrhunderte optimal an die Bedingungen der Region angepasste Nutzpflanzen und eine riesige Vielfalt an Sorten "

Alte Sorten können sich mit ihrer breiten genetischen Ausstattung den Bedingungen anpassen. Dem Boden, den klimatischen Veränderungen, Schädlingen. Das geht teils sofort, teils mit der nächsten Aussaat des geernteten Saatguts.
Ganz anders die Hybridsorten. Sie können nicht auf die Gegebenheiten reagieren, weil sie erstens genetisch einheitlich sind, und zweitens, weil kein Saatgut aus eigener Ernte ausgesät wird.

„Der Landwirt von heute baut im großen Stil Nutzpflanzen an, kontrolliert jedoch nicht mehr den gesamten Kreislauf der Pflanze", erläutert die Webseite. „Die Pflanzenzüchtung und die Herstellung von Saatgut ist in der Hand von wenigen, zum Teil sehr großen Industrieunternehmen, die die vielen kleinen Pflanzenzüchterbetriebe weitgehend aufgekauft haben. Die vier größten dieser Unternehmen verkaufen weltweit fast die Hälfte des Saatguts. Diese vier weltgrößten Saatgutkonzerne sind gleichzeitig die vier Weltmarktführer bei Pestiziden."

Ein Schuss ins eigene Knie- und in das der nächsten Generationen

„Moderne Landwirtschaft ist nicht nachhaltig", konstatiert Susanne Gura trocken. „Böden sind inzwischen humusarm, das Insektensterben schreitet immer weiter voran, und ganze Ökosysteme werden zerstört." Kurz gesagt, haben wir die Grundlagen für die Produktion unserer pflanzlichen Ernährung aus der Hand gegeben. Und das leider ohne guten Grund und zu einem – im mehrfachen Sinn – unfassbar hohen Preis. Während die samenfesten alten Sorten sich an ihre Umwelt anpassen können, fehlt den Hybriden diese Anpassungsfähigkeit völlig. Das Versprechen, sie würden sich besser gegen Schädlinge halten, sie würden bei der Bekämpfung des Hungers auf der Welt helfen oder ohne Pestizide auskommen: „Solche Wirkungen sind zumindest nicht dauerhaft“, sagt Susanne Gura. 

Bisher ist eher das Gegenteil nachgewiesen: Hybridsorten und Gentechnik erreichten nur mit Agrarchemie die versprochenen Erträge. Böden und Biodiversität und das Klima wurden schwer beeinträchtigt. Viele Schadinsekten und Krankheitserreger sind immun gegen Pestizide oder Resistenzgene geworden. Unsere Ernährung wurde abhängig von Chemiekonzernen. Alte Kulturpflanzen, die vitaler, gesünder und oft schmackhafter sind, wurden verdrängt. Mehr als drei Viertel der Sorten sind nach Auskunft der Vereinten Nationen auf diesem Weg bereits verloren gegangen. „Die Menschen schießen sich damit selbst ins Knie – und den nachfolgenden Generationen gleich mit!“, beschreibt Susanne Gura die Auswirkungen dieser Entwicklung.

Die Bonnerin Susanne Gura ist eine leidenschaftliche Bewahrerin der Sortenvielfalt.   FOTO: PRIVAT
Die Bonnerin Susanne Gura ist eine leidenschaftliche Bewahrerin der Sortenvielfalt.   FOTO: PRIVAT

Inzwischen werden samenfeste neue Sorten von Ökozüchtern für die Landwirtschaft gezüchtet. In Deutschland gibt es sogar eine freie Züchterausbildung, an der großes Interesse besteht. Seit kurzem erlaubt ihnen die EU endlich den viele Jahrzehnte lang verbotenen Verkauf des Saatguts. Das wachsende Angebot an Gemüse aus samenfesten Sorten zeigt: Eine Zukunft ohne Raubbau an Natur und Klima ist möglich.

Diese Gegenbewegung freut sich immer stärkerer stärkerer Aufmerksamkeit und das nicht nur bei ökologisch interessierten Fachleuten, sondern auch unter Kleingärtnern, Menschen mit Balkonpflanzen und Bürgern, die sich bewusst ernähren. Hinzu kommt, dass der Umgang mit alten Sorten auch eine kulturelle Handlung ist. ,,Das Wissen und das Saatgut werden von Hand zu Hand gegeben und von Generation zu Generation - Menschen und Sorten gehören zusammen“, meint Sortenerhalterin Gura.

Diese Weitergabe ist für alle Beteiligten nicht nur eine Frage des Erhalts wichtiger Kultur- und Nutzpflanzen. Sie ist auch eine ziemlich spannende und sehr persönliche Angelegenheit. ,,Das macht Freude, schmeckt besser und sieht schöner aus!" Susanne Gura ist in ihrem Element und erklärt, wie auch nicht-ökologisch versierte Zeitgenossen alte Sorten anpflanzen können. ,,Da ist zunächst ein Bestell-Portal auf nutzpflanzenvielfalt.de . Es gibt Tauschbörsen, Tage der Artenvielfalt und oft auch auf Frühlingsmärkten Stände, an denen die entsprechenden Samen zum Verkauf angeboten werden." Dabei wird auch Wissen und Erfahrung weitergegeben. Und es gibt das Bildungsprojekt ,,Saatgut leihen - Vielfalt ernten" (siehe Infokasten).

Als Tipp am Rande erwähnt Susanne Gura den Nutzpflanzengarten der Uni Bonn, der in zwei Bereichen auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist: im Botanischen Garten und dann im eigentlichen Nutzpflanzengarten am Katzenburgweg am neuen Campus. Wer also alte Sorten erst mal als Pflanze sehen und vielleicht auch Samen kaufen möchte: In Bonn ist das direkt vor Ort möglich.
Infos: www.nutzpflanzenvielfalt.de

Saatgut leihen - Vielfalt ernten

Alte Maissorten.  FOTO: SUSANNE GURA
Alte Maissorten.  FOTO: SUSANNE GURA

Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. hat das Bildungsprojekt ,,Saatgut leihen - Vielfalt ernten" im Jahr 2022 ins Leben gerufen. Interessenten können sich in der Bibliothek ihres Vertrauens ein Saatguttütchen mit einer Frist von neun Monaten ausleihen. Sie säen die Samen nach Anleitung aus und pflegen die Pflanzen bis zur Samenreife. Einen Teil des leckeren Gemüses genießen sie schon vorher. Den ausgereiften Samen ernten und trocknen sie und geben sie in eine vorbereitete Saatguttüte für die Rückgabe. Das neu gewonnene Saatgut geben sie gut beschriftet wieder in ihrer Bibliothek ab.
jöw
Infos: www.saatgutleihen.dez