Jedem Auszubildenden steht ein Auslandspraktikum zu - der Weg dahin lohnt sich. Wir zeigen, wie es geht

Europa lädt die Jugend ein

Auch die Stadtwerke Bonn wissen, wie wichtig ein Europapraktikum ist: Sie bietet ihren Azubis die Möglichkeit zur Teilnahme am Erasmus-Programm. FOTO: NA BEIM BIBB, FOTOSTUDIE HEUPEL

VON JÖRG WILD

Europa ruft - und die Jugend folgt der Einladung: Immer mehr junge Menschen nutzen die riesigen Chancen, die das europäische Bildungsprogramm Erasmus+ bietet und absolvieren während ihrer Ausbildung ein Praktikum im europäischen Ausland. Das ist übrigens auch in vielen andern Teilen der Welt möglich, mit dem Programm AusbildungWeltweit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Es ergänzt Erasmus+ und fördert Auslandsaufenthalte außerhalb der EU. Die Vorteile für alle Beteiligten sind sehenswert!

Michael Schema nutzte die Gelegenheit und ging für ein Praktikum nach Dublin, wo er in einer internationalen Consulting-Firma arbeitete, die auf Artificial Intelligence (AI) und Digital Transformation spezialisiert ist. Dieser Schritt war offensichtlich genau der richtige, seit einiger Zeit ist der Kaufmann für Büromanagement Bildungsbotschafter für das Erasmus+ Programm und will damit noch mehr junge Menschen motivieren, seinem Beispiel zu folgen.

Klaus Fahle, Leiter der Nationalen Agentur beim BIBB, rät Azubis zum Schritt ins Auslandspraktikum. FOTO: NA-BIBB
Klaus Fahle, Leiter der Nationalen Agentur beim BIBB, rät Azubis zum Schritt ins Auslandspraktikum. FOTO: NA-BIBB

„Die Möglichkeit, ein Auslandspraktikum zu absolvieren, ist ausdrücklich im Berufsbildungsgesetz geregelt", erklärt Klaus Fahle, Leiter der Nationalen Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NA beim BIBB). Die NA ist in Deutschland die zuständige Agentur für die Aktionsprogramme und Initiativen der Europäischen Kommission im Bereich der beruflichen Bildung und der Erwachsenenbildung und damit der erste Ansprechpartner für alle Fragen rund um ein Auslandspraktikum.

Und davon gibt es natürlich im Laufe der Zeit eine ganze Menge. Der Schritt will wohl überlegt und möglichst auch mit Geduld und etwas langem Atem geplant sein. ,,Ein paar Monate sollte man sich dafür schon Zeit nehmen“, sagt Fahle. Papiere müssen eingereicht, Verträge unterzeichnet, ein Partnerbetrieb im Ausland gefunden werden. Und obwohl Fremdsprachenkenntnisse kein Muss sind, ist es gut und hilfreich, ein wenig das Schulenglisch aufzupolieren und ein paar Sätze in der Sprache des Ziellandes zu lernen. Dafür gibt es erstklassige online-Sprachkurse, die den Einstieg deutlich erleichtern.

Apropos Einstieg: Wenn ein Azubi sich mit der Idee eines Auslandspraktikums anfreundet, dann sind die ersten Ansprechpartner der Ausbilder und die zuständigen Lehrer. Bonn ist hier Vorreiter, an allen Berufskollegs gibt es eigene Referate und Lehrer für Erasmus+. Sie wissen, wie es weiter gehen kann, und wo überhaupt im Rahmen der jeweiligen Ausbildung ein Praktikum sinnvoll sein kann.

Denn das ist die Kernbotschaft, die immer wieder durchdringt, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt: Ein Auslandspraktikum ist kein Urlaub. Es kann in vielerlei Hinsicht anstrengend sein - aber auch unglaublich spannend und bereichernd. Anstrengend, weil es für den jungen Menschen oft der erste größere Aufenthalt fern der Heimat ist, und dann gleich in einer fremden Umgebung mit einer fremden Sprache. Spannend, weil man sich vieles erarbeiten kann: Die Kontakte, die Kommunikation, die andere Lebensweise und natürlich auch vielleicht eine andere Arbeitsweise.

Aber, und auch das ist ein Teil der Kernbotschaft, ein solches Praktikum ist eine unglaublich grandiose Erfahrung, die den jungen Menschen formt und ihn erwachsener werden lässt. „Die Praktikanten bringen immer etwas mit aus dem Ausland!" sagt Klaus Fahle von der NA beim BIBB. Neue Erkenntnisse, Selbstsicherheit, Freude an der Arbeit, Fertigkeiten und Kompetenzen. Michaela Schema, der Kaufmann, der in Irland war, brachte ganz neue Recruiting-Techniken mit, die dann in seinem damaligen Ausbildungsbetrieb übernommen wurden.

Das ist auch das Hauptargument, das Fahle und seine Team-Kollegen Ausbildungsbetrieben an die Hand geben, die mit das Argument vortragen: ,,Der Azubi fehlt mir dann aber vier Woche im Betrieb." Das stimmt, meint Fahle, aber er kommt auch als veränderte Person wieder. Selbständiger, teamfähiger und mit riesigen Entwicklungssprüngen, weil er die Komfortzone verlassen und sich etwas getraut hat.

Und auch dies sollten Betriebe bedenken: Die Möglichkeit von Auslandspraktika sind gut fürs Ausbildungsmarketing. Denn junge Menschen haben häufig ziemlich konkrete Pläne für ihre Zukunft - und die Internationalität wird immer mehr ein Teil davon. Zudem werden wir die Deutschland immer internationaler und bunter. Das betrifft die Kooperationen aber auch die Klientel. Interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter wird dabei zunehmend wichtiger. ,,Ausbildungsbetriebe müssen sich weiter öffnen", meint Klaus Fahle. Im akademischen Berufsumfeld gehört diese Entwicklung längst zum guten Ton.

Wo ein solches Auslandspraktikum absolviert werden sollte, das hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst natürlich von den Interessen des Azubi. Aber auch von Partnerbetrieben und von der Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs. Ein Koch in einem Fischrestaurant in Skandinavien, ein Gärtner auf den Azoren oder ein Schreiner in Kenia - die Möglichkeiten sind riesig, und nicht umsonst stürmen immer mehr junge Menschen in die Beratungen. Etwa 20 000 Azubis werden in diesem Jahr ein Auslandspraktikum mit Erasmus+ absolvieren, vor Corona waren es bis zu 26 000.

Seit Beginn der Erasmus-Programme vor 35 Jahren haben 12 Millionen junge Europäerinnen und Europäer die Möglichkeit zum geförderten Auslandsaufenthalt genutzt. Sie haben geholfen, dass unser Kontinent immer stärker zusammen wächst, dass Rassismus verachtet und gegenseitige Wertschätzung groß geschrieben werden, dass Europa den Nationalismus überwinden hilft. „Und ganz oft sind es gerade die vermeintlich Schwächeren, die von diesen Programmen profitieren", erklärt Klaus Fahle. Sie kommen unglaublich gestärkt nach Hause zurück und haben einen riesigen Schritt für sich selbst und in ihrer jungen Arbeitskarriere getan.

ERASMUS+

Länger bleiben oder in Gruppe zum Praktikum

Erasmus+ bietet auch für junge Menschen Möglichkeiten, die nicht auf Anhieb den einfachen Weg" gehen: So können junge Menschen bis 27 Jahre auch noch zu 12 Monate nach ihrer Ausbildung ein Auslandspraktikum absolvieren - das ist vor allem auch für solche Menschen wichtig, die länger als vier Wochen im Ausland bleiben wollen.

Und für die, die sich nicht "alleine" ins Ausland trauen, gibt es die Möglichkeit von Gruppen-Praktika. Dabei werden meist Schwerpunktthemen wie Umweltschutz oder Service-Orientierung behandelt.

POOL-PROJEKTE

Eine Alternative für besondere Fälle

Der Arbeitgeber will die Förderung eines Auslandspraktikums nicht selbst beantragen? Für solche Sonderfälle gibt es eine Alternative: ,,Manche Berufsbildungseinrichtungen halten einen Pool von Erasmus+-Stipendien für individuelle Lernmöglichkeiten von Interessierten bereit, die zum beruflichen Lernen ins europäische Ausland gehen möchten", heißt es auf der Website der Nationalen Agentur beim BIBB. Die Ausschreibung erfolgt über die Praktikumsplatzsuche auf dem Portal für Azubis unter www.meinauslandspraktikum.de. Die Bewerbung erfolgt dann entsprechend nicht über den eigenen Arbeitgeber sondern über die Einrichtung, die das Pool-Projekt zur Förderung individueller Mobilität durchführt.

EU-FÖRDERUNG

Jugendmobilität im Fokus

Der Europäischen Jugendmobilität Union liegt die enorm am Herzen. Im aktuellen Budget, das für 2021 bis 2027 festgeschrieben ist, hat sich die Summe für das Programm Erasmus+ von 14,8 Milliarden Euro auf 26 Milliarden Euro erhöht. Da Großbritannien nach dem Brexit daran nicht mehr teilnimmt, ist die Summe also fast verdoppelt. Wichtig ist der EU, dass die jungen Menschen zwar reisen - aber nach Möglichkeit umweltfreundlich. Und Inklusion wird groß geschrieben. Und Erasmus+ deckt sämtliche Bereiche der beruflichen Bildung ab - von der Berufsbildungsvorbereitung über das klassische duale System bis hin zu Studierenden können alle daran teilnehmenden. Das gilt übrigens auch für das Personal der Berufsbildung.

WEITERFÜHRENDE INFOS

Erste Ansprechpartner

Größter Ansprechpartner ist die Nationale Agentur beim BIBB: www.na-bibb.de/erasmus-ausbildung

Ausbildung weltweit für Praktika im außer-europäischen Ausland: www.ausbildung-weltweit.de

Für Praktika in Frankreich kann man sich auch an das Deutsch-Französische Sekretariat wenden: www.dfjw.org/partner/dfs-sfa.html

Infos zu weiteren Auslandsaufenthalten wie Freiwilligendienste oder Work&Travel, Erfahrungsberichte sowie freie Plätze in geförderten Projekten: www.rausvonzuhaus.de