Spätestens im Zuge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Verlagerung vieler Bürotätigkeiten ins Home-Office stellte sich für Immobilienexperten die Frage, ob freiwerdende Büroflächen nicht einfach in Wohnraum umgewandelt werden könnten. Immobilienkonzepte der Zukunft beschreiben indes Gebäudekomplexe, in denen Wohnen, Leben, Arbeiten und Einkaufen zusammengedacht werden. Über solche Nutzungskonzepte debattierten die Experten und Expertinnen beim 1. GA-Forum Gewerbeimmobilien.
Bernd Hensel (Renum Projektgruppe Bonn) sagte, der Grundgedanke für Mischkonzepte sei nachvollziehbar: "Das ist ja eigentlich eine schöne Risikostreuung: ein bisschen Büro, ein bisschen Wohnen, ein bisschen Einzelhandel." Aber gerade der Bereich für den Einzelhandel sei schwer zu integrieren. "Deshalb behaupte ich, dass das für Anleger nicht besonders attraktiv ist."
Frederike Krinn (Landmarken AG) sagte: "Aus gesellschaftlicher und städtebaulicher Sicht ist das Thema präsent, das kann man in Bonn sehr gut am Bundesviertel und seinem Rahmenplan ablesen, der unterschiedliche Nutzungen in einer ganz neuen Dimension verbindet." Frederike Krinn berichtete vom Landmarken-Projekt Green Canyon, bei dem kurz vor Beendigung der Planungsphase geprüft werden musste, ob auch geförderter Wohnungsbau eingebunden werden könne. Dazu sei es dann zum Glück nicht gekommen: "Das hätte uns das Immobilienprojekt finanziell kaputtgemacht, so gerne wir dort eigentlich das Thema Wohnen umgesetzt hätten." Mischkonzepte seien kein Modell für alle Investoren und auch nicht für jeden Entwickler, weil es durchaus komplex sei. "Die Mieterstruktur ist eine ganz andere."
Renum Projektgruppe Bonn
Torsten Hamm (Greif & Contzen) meinte: "Man muss da differenzieren. Es gibt durchaus große Entwickler, die eine Quartiersentwicklung planen und dabei verschiedene Gebäudekörper verwenden, um die gewünschte Durchmischung zu erreichen. Das ist State of the Art und damit das, was auch politisch gewollt ist." Aber: "Das kann nicht jeder Investor." Indes sei ein einzelnes Gebäude mit ein bisschen Einzelhandel unten, Büro- und Wohnungen darüber eher ein kleineres Innenstadt-Produkt, das für nicht jeden Investor interessant sei.
Victoria Appelbe (Wirtschaftsförderung Stadt Bonn) zählte einige laufende Projekte auf, die durch die Stadt begleitet werden. Zunächst die Entwicklung der früheren Bonner Fahnenfabrik im Bonner Norden durch die Cube Real Estate, die in der künftigen "Bonner Flagge" eine Mischnutzung mit Wohnen, Gewerbe und Gastronomie vorsieht. Zweitens der Auerpark in Buschdorf, wo gewerbliche und wohnbauliche Nutzung verbunden werden. Drittens das frühere Karstadt-Gebäude in der City, wo der Eigentümer Aachener Grund über eine Verbindung von Einzelhandels- und Büroflächen nachdenkt. Und schließlich das städtische Projekt "Neues Quartier Bundesviertel" auf der Fläche des früheren Landesbehördenhauses, das die Stadt erworben hat. "Da verfolgen wir die Vision, diese Mischung zu erzielen - von der Kommunalverwaltung über Wohnen, Schule und Kita, Gastronomie und Handel bis hin zu anderen gewerblichen Nutzungen." Die Entwicklung sei eine große Herausforderung, weil sehr detailreich und komplex: "Da gibt es einige Hürden, die wir in der Praxis überwinden müssen."
Projektentwickler Bernd Hensel verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass bei der Schaffung von neuem Wohnraum auch die Nahversorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs geregelt sein müsse: "Wenn ich die Menschen zum Wohnen dorthin bringe, muss ich auch entsprechende Angebote schaffen."
Torsten Hamm erläuterte, dass es auch baulich gar nicht so einfach sei, ein bestehendes Bürogebäude in eine Wohnimmobilie umzuwandeln: "Büroflächen sind oft zu groß, um daraus einfach Wohnraum zu machen." Dafür sei die vorhandene Gebäudestruktur häufig nicht geeignet, zum Beispiel aufgrund Anzahl und Lage bestehender Treppenhäuser. Außerdem müsse die Erschließung des Gebäudes neu geplant werden. Und auch die Belichtung könne bei großen Gebäudetiefen ein Problem darstellen. "Da stehe ich dann also in der Regel vor Riesenaufgaben, die auch noch richtig viel Geld kosten."
von Sascha Stienen