Neuer Trainer, neuer Trainerstab, komplett neues Team - die Telekom Baskets Bonn haben ihr Gesicht im Sommer extrem verändert. Roel Moors soll den Club als neuer Headcoach dennoch wieder zu großen Erfolgen führen. Tanja Schneider, Marcel Wolber und Tobias Schild sprachen mit dem Belgier über Erwartungen, Druck und ehrgeizige Ziele.
Belgien ist im Sport vor allem berühmt für seine Fußballer und Radfahrer. Warum sind Sie ausgerechnet Basketballer geworden?
Roel Moors: Das liegt in meiner Familie. Mein Bruder ist vier Jahre älter und hat früh Basketball gespielt. Ich hatte schon mit drei Jahren immer einen Ball dabei. Mit sechs habe ich mit Basketball angefangen, ab zehn gab es für mich nur noch Basketball. Davor war ich auch Schwimmen und habe Judo und ein bisschen Leichtathletik gemacht.
Als Spieler gehörten Sie zu den Besten Ihres Landes, bei den Antwerp Giants wird Ihre Trikotnummer 4 nicht mehr vergeben. Wie kam es zum Wechsel auf den Trainerstuhl?
Moors: Das war eine komische Geschichte. Ich verstand mich mit dem Coach von Antwerpen sehr gut. Er machte mir das Angebot, nach meinem Karriereende die zweite Mannschaft der Giants in der zweiten Liga zu coachen und bei ihm als Co-Trainer einzusteigen. Leider waren unsere Ergebnisse schlecht und er wurde entlassen. Man fragte mich, ob ich das Team übernehmen kann. Als Co-Trainer musste ich das machen, ich dachte für zwei bis drei als Wochen Zwischenlösung. Aber wir gewannen unsere Spiele und plötzlich blieb ich Headcoach.
Das klingt nach einer großen Herausforderung. Mögen Sie Herausforderungen?
Moors: Ich verstehe die Frage (lacht). Ich habe auf jeden Fall keine Angst vor Herausforderungen. Ich liebe Druck und brauche Druck.
Der Hintergrund der Frage ist natürlich, dass Sie bei den Baskets in die großen Fußstapfen von Tuomas Iisalo treten. Hatten Sie Respekt vor der Aufgabe?
Moors: Ich habe riesigen Respekt vor seiner Arbeit hier und seinen Erfolgen. Aber mit den Ergebnissen aus dem vergangenen Jahr habe ich nichts zu tun. Ich habe also nicht den Druck, 32 Spiele und die Champions League gewonnen zu haben. Meine Herausforderung ist es, ein neues Team mit 13 neuen Spielern und fast einen komplett neuen Trainerstab aufzubauen und zusammenzuführen. Das ist immer schwierig.
Spüren Sie Druck von den Fans, die ähnliche Erfolge erwarten?
Moors: Bisher noch nicht, wir hatten ja auch noch kein offizielles Spiel. Ich erwarte auch nicht, dass die Fans die vergangenen zwei Jahre vergessen, sie können stolz darauf sein. Ich hoffe, dass wir auf dem guten Weg weiterschreiten können. Das Einzige, was wir jetzt brauchen, ist ein bisschen Sinn für Realität, dass es seine Zeit brauchen wird.
Also rechnen Sie mit Anfangsschwierigkeiten?
Moors: Es ist immer schwer, Erfolg zu wiederholen. Ich bin mit Göttingen vergangene Saison Sechster geworden. Wenn ich geblieben wäre und hätte das gleiche Personal behalten, wäre es trotzdem fraglich gewesen, ob wir das wieder geschafft hätten. Es wäre auch für Tuomas Iisalo schwer geworden, diese Erfolge in Bonn zu wiederholen. Zumal ich nicht glaube, dass die beiden EuroLeague-Teams (Berlin und München, d. Red.) noch eine Saison so vergeigen.
Haben Sie lange überlegen müssen, als das Angebot aus Bonn kam?
Moors: Nein, nicht lang. Ich war sehr zufrieden in Göttingen, weil dort trotz eines deutlich kleineren Etats auch sehr professionell gearbeitet wird. Aber ich habe mich vor vier Jahren entschieden, ins Ausland nach Bamberg zu gehen - ohne meine Familie, obwohl ich ein Familienmensch bin-, weil ich den Ehrgeiz habe, auf dem höchsten Niveau zu arbeiten. Göttingen war nach Bamberg ein kleiner Schritt zurück. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Aber jetzt musste ich das machen, um wieder auf einem Topniveau zu arbeiten.
Hat auch die Nähe von Bonn zu Belgien eine Rolle gespielt?
Moors: Es ist auf jeden Fall ein Vorteil. Von hier bin ich in gut zwei Stunden zu Hause, aus Göttingen waren es mehr als vier Stunden. Ich könnte jetzt auch mal über Nacht zu meiner Familie fahren.
In Bonn stent Ihnen ein größerer Etat zur Verfügung als in Göttingen. Ein Vorteil?
Moors: Es ist nicht immer einfacher mit mehr Geld. Der Unterschied ist nicht groß genug, als dass wir eine ganz andere Kategorie Spieler suchen können. Außerdem musste ich diesmal ein komplett neues Team aufbauen, kein einziger Spieler war noch da. Das kann natürlich auch Vorteile haben. Denn wir haben auch keinen Spieler im Team, der mit dem Kopf noch im vergangenen Jahr hängt. Keiner hat diese Erfolge miterlebt. Das ist mental auch nicht einfach, wenn man so erfolgreich war und es dann vielleicht nicht mehr so ist.
Sie haben Harald Frey aus Göttingen mitgebracht. Stand das für Sie gleich fest?
Moors: Es war nie meine Absicht, fünf oder sechs Spieler aus Göttingen zu holen. Ich wusste, dass Till Pape unbedingt zu mir wollte. Wäre ich in Göttingen geblieben, hätte er da unterschrieben. Bei Harald habe ich lange gezweifelt. Nicht an seiner Qualität, die hat er. Aber ich habe mit so etwas eine schlechte Erfahrung gemacht. Ich habe in Antwerpen Paris Lee trainiert und ihn dann mit nach Bamberg genommen. Es funktionierte nicht, das Klima in Bamberg war anders. Lee wurde kritisiert, er sei nicht gut genug. Mittlerweile hat er für drei EuroLeague-Teams gespielt, er war also nicht so schlecht. Doch es passte nicht. Deshalb habe ich bei Harald lange überlegt. Es ist jedoch gut, dass ich mit ihm und Till zwei Spieler habe, die mein System schon kennen und so für eine gewisse Kontinuität sorgen.
Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand in der Vorbereitung?
Moors: Ich denke, wir haben noch viel zu tun. Wir hätten vielleicht ein paar stärkere Gegner in den Testspielen gebraucht, die uns mehr fordern. Doch wir sind auf einem guten Weg, die Teamchemie stimmt. Es muss sich noch eine Hierarchie im Team herauskristallisieren, wer sind die Spieler, die wir in entscheidenden Situationen suchen? In der Schweiz war das gegen Scafati am Ende Frey, gegen Fribourg hat Glynn Watson übernommen.
Welche Rolle soll Christian Sengfelder spielen und warum haben Sie ihn zum Kapitän gemacht?
Moors: Chris ist einer der besten deutschen Spieler in der Liga. Ihn zu holen war ein ganz wichtiger Schritt. Er hat im Team die meiste Erfahrung in der Liga. Ich brauchte einen Spieler wie Chris, der sich immer reinhängt und keine Angst hat.
Wie groß war der Schock, als sich Center Thomas Kennedy am Knie verletzt hat?
Moors: Vor allem ist es für ihn schlimm. Er ist ein junger Spieler mit viel Potenzial aber auch noch einer Menge Arbeit vor sich. Die Vorbereitung zu verpassen, ist da sehr schlecht. Seine Genesung entwickelt sich gut, wir geben ihm die nötige Zeit. Deshalb haben wir Ike Udanoh auch für drei statt zwei Monate als Ersatz geholt.
Warum haben Sie Udanoh nach verpflichtet?
Moors: Wir haben schnell entschieden, dass wir noch jemanden brauchen, gerade zum Saisonstart. Da ich das Team schon zwei, drei Wochen beobachtet hatte, konnte ich gut einschätzen, was uns noch fehlt. Genau das habe ich mit Ike gefunden: Erfahrung, defensive Präsenz auf der Fünf. Er bringt dem Team viel mehr als man auf dem Statistikbogen sieht. Er redet viel, hilft den jungen Spielern und ist sehr stark in der Defensive. Offensiv braucht man keine 15 Punkte erwarten, das ist nicht seine Stärke. Aber er zeigt Energie und ist ein Anführer. Das braucht ein junges Team.
Der Auftakt in der BBL erscheint mit den Aufsteigern Vechta und Tübingen relativ einfach...
Moors: Das sehe ich anders. Ich finde, das ist ein sehr schwerer Auftakt. In Vechta? Da ist die Stimmung immer überragend. Und jetzt waren sie ein paar Jahre nicht in der BBL, die Euphorie nach dem Aufstieg ist enorm. Aber natürlich müssen wir die ersten beiden Spiele gewinnen.
Haben Sie ein Saisonziel ausgerufen?
Moors: Wir haben kein konkretes Ziel. Aber ich habe noch nie Angst gehabt, ein Ziel zu formulieren. In Göttingen habe ich vergangene Saison die Playoffs als Ziel benannt, obwohl wir einen bescheidenen Etat hatten. Zehn Trainer in der BBL sagen, sie wollen in der Liga bleiben. Das ist kein Saisonziel. Ich will unter den ersten Fünf mitspielen. Ich bin zu ehrgeizig, um zu sagen, wir wollen einfach nur in die Playoffs. Das ist das Minimum.
Und in der Champions League?
Moors: Persönlich würde ich sagen, wir wollen die erste Runde überstehen. Doch wir haben mit Sengfelder und Udanoh nur zwei Spieler, die überhaupt schon mal in der Champions League gespielt haben. In so einem Wettbewerb ist es sehr schwer, sich ein Ziel zu setzen.
Freuen Sie sich schon auf die Stimmung im Telekom Dome?
Moors: Natürlich. Bei meinem ersten Gastspiel hier mit Bamberg war sie nicht so gut. Bonn hatte damals große Probleme und wir gewannen sehr hoch. Da war es eher ruhig. Aber in den vergangenen beiden Jahren war die Stimmung einfach unfassbar.
Was für einen Spielstil dürfen die Fans denn von den Baskets 2023/24 erwarten?
Moors: Ein Spiel mit viel Energie und Intensität, bei dem man sieht, dass die Jungs Spaß daran haben, zusammenzuspielen. Ich will meinen Spielern eine Struktur anbieten, in der sie ihre individuellen Freiheiten haben. Sie sollen keine Roboter sein, aber Teambasketball spielen. Und wir werden mit hohem Tempo spielen.
Wen sehen Sie als die Schlüsselspieler in Ihrer Mannschaft?
Moors: Im besten Fall hast du mehrere Spieler im Team, die ein Spiel entscheiden. Wenn Harald nicht gut drauf ist, übernimmt Glynn. Hat Brian Fobbs Probleme, springt Noah Kirkwood ein und so weiter. Es soll nicht immer der Gleiche sein. Das hat hier vergangene Saison super funktioniert. Aber wir haben keinen Spieler wie TJ Shorts, der so überdominant ist.
Haben Sie mit den Spielern schon über ihre Rollen auf dem Feld gesprochen?
Moors: Ich habe mit allen individuelle Gespräche geführt. Ich wollte mir alles drei, vier Wochen anschauen, dann habe ich ihnen einzeln erklärt, was ich genau von ihnen erwarte. ,Das ist deine Rolle, ich erwarte das und jenes, aber das nicht. Der nächste Schritt ist, dass ich dem Team vorstelle, was ich von wem erwarte, damit alle auch die Rolle der anderen Spieler kennen.
Bei der Teampräsentation auf Pützchens Markt haben Sie mit den Fans das Finale der Weltmeisterschaft geschaut. Welche Auswirkungen wird der WM-Titel des deutschen Teams auf die Bundesliga haben?
Moors: Ich bin überzeugt, dass es etwas bewegen wird. Da ist ein Enthusiasmus entstanden, der junge Menschen bewegen wird. Vielleicht sieht man das nicht sofort, aber bestimmt in fünf Jahren. Es ist ein unglaublicher Erfolg. Und das Finale hat Deutschland eigentlich zu knapp gewonnen. Sie waren das klar bessere Team, der realistische Abstand war eher bei zwölf Punkten.
Waren Sie im Finale Deutschland-Fan?
Moors: Es hat sehr viel Spaß gemacht, das Spiel in dieser Weise zu sehen. Natürlich bin ich immer noch kein Deutscher. Aber ich bin stolz, dass ich in diesem Land arbeiten darf.
Apropos, haben Sie schon viel von Bonn gesehen?
Moors: Nein. Ich war einmal mit der Familie in der Stadt. Ansonsten hatte ich keine Zeit. Ich mag die Natur und habe auf dem Venusberg schon ein paar tolle Laufstrecken durch den Wald gefunden. Da gibt es ja hunderte. Einmal habe ich mich verlaufen. Zum Glück habe ich einen guten Orientierungssinn.
ZUR PERSON
Roel Moors war rund 20 Jahre lang Basketball-Profi in Belgien. Mit Spirou Charleroi wurde er dreimal belgischer Meister, mit der Nationalmannschaft trat er bei den Europameisterschaften 2011 und 2013 an. 2015 wurde er Headcoach der Antwerp Giants, vier Jahr später führte er den Club auf den dritten Platz in der Champions League, wofür er zum Trainer des Jahres der BCL erkoren wurde. Über Bamberg und Göttingen ist er nun in Bonn gelandet. Der 44-Jährige ist verheiratet und hat einen Sohn (14) und eine Tochter (11), die in Belgien leben. scld