Als sich Jeremy Morgan verletzt, weiß er nicht, ob er je wieder Basketball spielen kann. Fast fünf Monate später steht er wieder auf dem Parkett

Jeremy Morgan: Der lange Weg zurück

Auch wenn er manchmal etwas schwermütig nach Hause ging: Er hat sich imme' mitgefreut: Hier umarmt Jeremy Morgan Tyson Ward nach dem Sieg gegen Alba Berlin. FOTO: DERIX

AIs das Unglück passierte, packte seine Mutter gerade ihren Koffer. Es war Weihnachten. Cris Morgan wollte am nächsten Tag zu ihrem Sohn nach Bonn fliegen. Während sie ihre Sachen zusammenlegte, lief das Spiel der Telekom Baskets gegen die Niners Chemnitz. Den Anfang hatte sie verpasst. Und irgendwann stellte sie fest, dass etwas nicht stimmte. ,,Sie hat meinen kleinen Bruder angerufen" erzählt Jeremy Morgan. „Wo ist Jeremy", hat sie ihn gefragt,,,da stimmt doch was nicht." Der Bruder versuchte sie zu beruhigen: ,,Alles nicht so schlimm."

Spiel 1 nach langer Verletzungspause: Gegen Ulm steht Jeremy Morgan wieder auf dem Parkett. FOTO: WOLTER
Spiel 1 nach langer Verletzungspause: Gegen Ulm steht Jeremy Morgan wieder auf dem Parkett. FOTO: WOLTER

Jeremy Morgan wurde in der Kabine von Mannschaftsarzt Michael Volkmer begutachtet. Und es war schlimm. Schon nach 20 Sekunden der Partie gegen die Niners Chemnitz war Morgan nach dem, was man ein Allerweltsfoul nennen würde, Kopf voraus in den Fuß der Korbanlage gestürzt. Die ist gut gepolstert und es sah eigentlich so aus, als sei er mit der Schulter aufgekommen, doch er blieb außerhalb des Feldes liegen.

Volkmer und Teamphysio Bogdan Suciu eilten zu Morgan. Es dauerte eine Weile, dann halfen sie ihm auf. Stützten ihn auf dem Weg in die Kabine, Morgan hielt seinen Arm wie bei einer Schulterverletzung. „Ich wusste relativ schnell, dass etwas Schlimmeres ist. Mein Arm war bis in die Fingerspitzen taub", sagt er mit ruhiger Stimme. So ruhig, wie er seiner Mutter erst nach ihrer Ankunft in Bonn sagte, dass der Bruder geflunkert hatte.

,,Ich wollte nicht, dass sie sich den ganzen Flug über sorgt und wollte ihr lieber Auge in Auge sagen was los ist, wenn sie sieht, dass ich aufrecht stehe", sagt der seit Montag 28-Jährige, der für eine zentrale Rolle in Iisalos Planungen vorgesehen war.

Es war gut, dass seine Mutter da war. Ihr Sohn war mit einem Gestell, dass seinen Nacken stabilisieren sollte und den Kopf fixierte, einigermaßen unbeweglich. Keine Drehung nach links, keine nach rechts, kein Kopfnicken. ,,Das hat fast sieben Wochen gedauert", sagt Morgan. „Nichts konnte ich damit machen. Nicht mal anständig schlafen."

Relativ schnell nach dem Unfall besuchte er ein Heimspiel der Baskets - und ging in der Halbzeit wieder nach Hause. ,,Das hatte ich mir einfacher vorgestellt. Aber ich konnte ja nur mit den Augen das Spiel verfolgen. Das funktioniert zu Hause auf dem Bildschirm, aber nicht in der Halle. Es war viel zu anstrengend."

Aber die Unbequemlichkeiten mit dem Gestell, das er 24 Stunden tragen musste, waren nicht das Schlimmste. ,,Ich wusste nicht, ob ich je wieder Basketball spielen würde", sagt er. Es war eine schwierige Zeit. ,,Ich bin meiner Mutter und meiner Freundin Lea so dankbar. Sie haben alles getan, um mir das Leben etwas leichter zu machen. Haben mich unterstützt, motiviert und manchmal auch getröstet."

Er sagt von sich selbst, dass er geduldig ist. „Aber ich bin eben noch mehr ehrgeizig. Und als ich wieder etwas tun durfte, habe ich alles gegeben. Ich hatte ein Ziel, wollte zurück auf den Court, am liebsten noch diese Saison." Zum Saisonfinale gegen Ulm war es so weit und der Empfang der Fans war überragend. Morgan wusste schon vorher, dass es emotional werden würde. Wurde es.

Bis zu dem Zeitpunkt, als er beginnen durfte, sich zu bewegen, versuchte er zumindest seinen Kopf fit zu halten. Er las und lernte Deutsch. Er lernte Kochen. Auf Deutsch. „Wir haben diese Boxen mit Lebensmitteln und Rezepten bestellt - alles auf Deutsch." Als er langsam beginnen durfte, sich zu bewegen, ging er mit Athletik-Trainer Adrian Ariza Medina im Kottenforst spazieren. „Das war nicht viel, aber die frische Luft und die Gespräche mit Adri haben so gut getan."

Das Team war für ihn da. Und sein Trainer, die beiden haben seit der gemeinsamen Zeit in Crailsheim eine besondere Beziehung zueinander. ,,Ich habe oft mit Tuomas gesprochen. Jeder weiß, was für ein fantastischer Coach er ist, aber er ist auch ein großartiger Mensch."

Er hat sich zu Hause gefühlt, und das weit weg von zu Hause. „Es ist hart, in einer solchen Situation nicht bei deiner Familie zu sein. Aber ich habe mich hier 1000 Prozent umsorgt gefühlt", sagt Morgan und schluckt ein bisschen, ehe er weiterspricht. ,,Das findest du nicht überall. Immer haben alle gesagt: Deine Gesundheit ist das Wichtigste. Wenn du irgendetwas brauchst, sag Bescheid. Das ist großartig und hat mir mental geholfen.“

Den fulminanten Weg seines Teams hat er also die meiste Zeit als Fan gesehen. Hat angefeuert und sich gefreut. Manchmal ging er etwas traurig nach Hause. Überrascht hat ihn der Erfolg nicht. ,,Ich gehe meistens ohne allzu große Erwartungen in eine Saison. Aber mir war nach ein paar Spielen klar: Diese Mannschaft hat etwas Besonderes."

VON TANJA SCHNEIDER