Zwei Jahre sind seit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021 vergangen. Einen Großteil der Spenden, die bei „Aktion Deutschland Hilft“ eingegangen sind, haben die Bündnisorganisationen bereits in Hilfe für betroffene Menschen umgesetzt.
Frau Rerich, warum dauert die Auszahlung von Spendengeldern an die Menschen in den Hochwassergebieten an?
TANJA RERICH: Ich sehe dafür im Wesentlichen fünf Gründe, auf die wir als Hilfsorganisation kaum Einfluss haben. Ein sehr wichtiger Grund: Der Auszahlung von Spendengeldern geht ein mehrstufiges Verfahren voraus, das Zeit in Anspruch nimmt: Für finanzielle Wiederaufbauhilfen müssen Betroffene erst Anträge auf Hilfen vom Staat bzw. von den Versicherungen stellen. Dafür ist in der Regel ein Gutachten nötig, das die gesamte Schadenssumme feststellt. Auf Grundlage des Gutachtens werden dann die Summe für die staatlichen Wiederaufbauhilfen-maximal 80 Prozent - und die verbleibenden 20 Prozent Eigenanteil berechnet, für die die Betroffenen schließlich Spendengelder beantragen können. Dieses mehrstufige Verfahren ist ja durchaus im Sinne der Betroffenen, denn so werden Spendengelder nicht auf Leistungen von Versicherungen oder Staat angerechnet. Außerdem haben Versicherungen und Staat viel größere Budgets für den Wiederaufbau als wir Hilfsorganisationen - es wäre falsch, sie aus der Pflicht zu nehmen.
Schließlich prüfen viele Hilfsorganisationen die Bedürftigkeit der Betroffenen. Das ist im Sinne der Spender:innen, die ja diejenigen unterstützen möchten, die die Hilfe wirklich brauchen.
Welche Gründe gibt es noch?
In den Flutgebieten fehlen Gutachter:innen. Dadurch ist in einigen Fällen immer noch unklar, ob Häuser abgerissen werden müssen oder wiederaufgebaut werden können. Auch der Mangel an Handwerker:innen und Baustoffen verzögert den Wiederaufbau. Es fehlen zudem Abriss- oder Baugenehmigungen oder Ersatzflächen im Falle von Bauverboten im Überschwemmungsgebiet. Ein weiterer, letzter Grund: Viele Menschen nehmen Hilfe nicht in Anspruch aus Scham, oder weil sie traumatisiert sind und nach wie vor keine Kraft dazu haben. Und einige Betroffene wissen schlicht nicht, wo und wie sie Hilfen bekommen können, obwohl wir auf Veranstaltungen, in Medien, Fluthilfebüros und mit aufsuchender Hilfe informieren.
Ist es sinnvoll, dass noch Spendengelder übrig sind?
Ja, unbedingt, der Wiederaufbau ist ja noch nicht beendet! Es ist wichtig, dass noch Spenden zur Verfügung stehen, damit unsere Bündnisorganisationen Hilfsmaßnahmen umsetzen können. Wir sehen weiterhin einen hohen Bedarf an Beratung zur finanziellen Wiederaufbauhilfe. Deshalb sind die Beratungsstellen in den Fluthilfebüros verstärkt worden, ebenso wie die Helferteams, die zu den Menschen gehen. Sie bieten Beratung zu Wiederaufbauanträgen und vermitteln je nach individuellem Bedarf an Handwerkerbetriebe und Gutachter:innen. Informationen zur nächsten Beratungsstelle erhalten Betroffene bis mindestens Ende September unter der Telefonnummer 06723/685578 (Montag bis Freitag von 8-18 Uhr). Auch psychosoziale Unterstützung und Hilfen für gemeinnützige Organisationen und Vereine sind weiterhin nötig.
Was wurde bisher mit den Spenden erreicht?
Eine ganze Menge! Und darauf sind wir stolz. Die Hilfsorganisationen im Bündnis leisteten und leisten Hilfe in über 300 betroffenen Kreisen, Gemeinden und Städten. Allein mehr als 35 Millionen Euro Spenden von Aktion Deutschland Hilft erhielten die Menschen im Rahmen von finanziellen Sofort- und Wiederaufbauhilfen. Hinzu kommen über 35.000 Einzelangebote für psychosoziale Unterstützung: Einzelberatungen, Gesprächskreise, Reittherapie, Beratungscafé. Über 300 Institutionen und Vereine wurden mit Spendengeldern unterstützt - darunter Alten- und Pflegeheime, Kitas, Jugendherbergen, Sport- und Musikvereine. Dank der Spendengelder stehen den Betroffenen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen als Unterstützung beim Wiederaufbau mehr als 40 Anlaufstellen zur Verfügung, darunter Fluthilfebüros, Beratungsstellen und Werkzeugausgaben. Übergangsangebote in 322 beheizbaren Mobilheimen und Wohncontainern werden zum Teil immer noch genutzt.