40 Jahre Erfolgsgeschichte: Know-how-Transfer durch ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte, die rund um den Globus ihr Fachwissen weitergeben

Weltweit gefragtes Wissen: der Senior Experten Service in Bonn

Klaus Gengenbach bei einem Einsatz in Berlin, wo er ein Hotel unterstützt hat. FOTOS: SES

Friedrich Obojkovits war Küchenmeister bei der Bayerischen Versicherungskammer. Im Auftrag des Senior Experten Service (SES) leistete der 73-jährige in Armenien Gründercoaching für Jungunternehmerin Ashkhen Petrosyan, die in Idschewan ihren Traum von einem Kulturcafé verwirklichte. Kurz vor der Eröffnung testete Obojkovits mit dem Küchenpersonal 118 Rezepte und gab sein Wissen in allen wichtigen gastronomischen Fragen weiter. Seit dem Antritt seiner Altersteilzeit 2011 unterstützt er als ehrenamtlicher Senior-Experte des SES Gastronomie-Betriebe in Staaten der ehemaligen UdSSR und lernt dabei in drei bis sechs Wochen Land und Leute kennen. „Ich bin sehr froh, dass ich mein Wissen weitergeben darf“, sagt Obojkovits. Am Ende seines Einsatzes in Idschewan ist er sich sicher: „Meine Auftraggeberin wird meinem Rat folgen, die guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig an ihren Betrieb zu binden.“

Vor 40 Jahren wurde der Senior Experten Service (SES) im damaligen Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) in Bonn gegründet. Die Idee: Know-how-Transfer durch ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte, die rund um den Globus ihr Fachwissen weitergeben. Die Expertinnen und Experten unterstützen kleine und mittlere Unternehmen, Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesens, öffentliche Verwaltungen oder auch gemeinnützige Organisationen immer auf Nachfrage, auf den jeweiligen Bedarf zugeschnitten und nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe.

Von Projekt zu Projekt

Begann die Geschichte des Senior Experten Service 1983 mit rund 800 Expertinnen und Experten im Ruhestand und 22 Einsätzen, gehören dem SES mittlerweile fast 13.000 Fach- und Führungskräfte aus allen Branchen an. Das Gros sind Ruheständler von knapp unter 60 bis Ende 70. Ein Viertel von ihnen sind Frauen - mit steigender Tendenz. Inzwischen blickt die noch immer -in Bonn ansässige Organisation auf mehr als 60.000 Einsätze in 170 Ländern zurück. Eine Erfolgsgeschichte.

In seinen Anfängen war der SES allein in Entwicklungs- und Schwellenländern aktiv. Seit 1990 aber zählt auch Deutschland zu seinen Einsatzgebieten: Dabei ist die Förderung junger Menschen auf ihrem Weg in den Beruf ein besonders wichtiges Ziel. So startete 2006 das Schulprogramm: Hier kümmern sich die Kräfte des SES vor allem um die berufliche Orientierung und ein besseres Verständnis für die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Und 2008 wurde das speziell auf Auszubildende zugeschnittene Mentorenprogramm VerA zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen ins Leben gerufen. Inzwischen haben ehrenamtliche Fachleute im Ruhestand bereits über 21.000 Auszubildende im Tandem-Modell begleitet - mit einer Erfolgsquote von 75 Prozent. SES-Geschäftsführer Dr. Michael Blank: „Die Initiative VerA ist seit Jahren das erfolgreichste einzelne Angebot des Senior Experten Service.“

2017 dann ein erneuter Meilenstein: Der SES gründete mit dem Weltdienst 30+ seine Juniorsparte - einen reinen Auslandsdienst für Berufstätige mit mindestens acht Jahren Berufserfahrung, die sich für ihren Einsatz eine berufliche Auszeit nehmen. Noch im selben Jahr lief das erste von mittlerweile mehreren EU-geförderten Projekten mit SES-Beteiligung an, 2021 wurde eine Partnerschaft mit dem Deutsch-Afrikanischen Jugendwerk (DAJW) geschlossen: Da erhalten junge Fachkräfte aus Afrika die Gelegenheit zu einer Hospitanz in Deutschland, und umgekehrt - können junge Fachkräfte aus Deutschland an einem Afrika-Einsatz teilnehmen.

40 Jahre Senior Experten Service, das sind auch 40 Jahre Partnerschaft mit Wirtschaft und Staat. Denn hinter dem SES stehen die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, viele unternehmensnahe Stiftungen und die Bundesregierung - namentlich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Küchenmeister Friedrich Obojkovits und Auftraggeberin Ashkhen Petrosyan in ihrem Kulturcafé Idschewan (Armenien).
Küchenmeister Friedrich Obojkovits und Auftraggeberin Ashkhen Petrosyan in ihrem Kulturcafé Idschewan (Armenien).

Know-how aus 50 Branchen

Die SES-Fachleute kommen aus etwa 50 Branchen und vielen Hundert einzelnen Berufen. Es gibt so gut wie keinen Bereich, der nicht abgedeckt wäre. Trotzdem wird ständig Expertennachwuchs gesucht, gerne mit guten Fremdsprachenkenntnissen. „Die Anfragen kommen aus aller Welt und betreffen alle Branchen - von der Abfallwirtschaft bis zur Musikhochschule“, sagt die stellvertretende SES-Geschäftsführerin Bettina Hartmann. Genauso gefragt sind Ehrenamtliche, die sich im Rahmen der Deutschland-Programme für Kinder, Jugendliche und Auszubildende engagieren möchten.

Aktuelle Herausforderungen

Der vermehrte Renteneintritt der Babyboomer-Generation bietet der Organisation neue Chancen, aber auch Herausforderungen, da Unternehmen versuchen, Arbeitsverträge zu verlängern oder Ruheständler projektweise zurückzuholen, um den Wissens- und Erfahrungsschatz dieser Mitarbeiter zu nutzen. Als Reaktion auf das verstärkte Werben auch um pensionierte Fachkräfte, ist der SES dabei, erstmals auch bezahlte Auslandseinsätze zu organisieren.

Wie wird man Senior-Experte bzw. Expertin?

In einem ersten Schritt registriert man sich online auf der Website und gibt dort den beruflichen Werdegang, die speziellen Kompetenzen und die Motivation an. Bevor man in den Einsatz geschickt wird, absolviert man ein Vorbereitungsseminar, in dem man alle wichtigen Informationen zum SES, zu Versicherungsfragen und zu landeskundlichen Besonderheiten erhält. Im Normalfall werden die Reisekosten übernommen, Unterbringung und Verpflegung übernimmt der Partner vor Ort.

Tourismusexperte Klaus Gengenbach ist ein Allrounder: Als Senior Experte unterstützte er zunächst Projekte in der Mongolei und in Madagaskar. Dann begleitete er in Deutschland junge Auszubildende mit Migrationsgeschichte. Gengenbach: „Hier geht es zum einen um Deutschkenntnisse, aber ich musste mich auch in ein völlig neues Fach hineinfuchsen.“ Man erlebe dabei einen wichtigen Perspektivwechsel, lerne Sorgen und Nöte der Migranten kennen. Am Ende profitiert aber auch der Senior-Experte. Gengenbach: „Man bekommt Dankbarkeit und unglaublich viel Wertschätzung.“ VON BRIGITTE LINDEN

Die SES-Stiftung, treuhänderisch verwaltet vom Stifterverband für die Deutsche Wirtschaft, ist alleinige Gesellschafterin der gemeinnützigen Senior Experten Service gGmbh. Vorstand und Kuratorium der Stiftung sind mit hochrangigen Vertretern der deutschen Wirtschaft besetzt. Sie alle nehmen ihre Aufgaben ehrenamtlich wahr. Die Stiftung fördert strategisch wichtige Anliegen durch Erträge aus ihrem Vermögen und wirbt bei Unternehmen und unternehmensnahen Stiftungen Spenden für besondere Vorhaben ein.

www.ses-bonn.de