Leseratten kennen das Problem: übervolle Bücherregale verstopfen die Wohnung, Bücher in der Mülltonne zu entsorgen, ist unvorstellbar. Oder aber es fehlt das Geld, neuen Lesestoff zu kaufen und die Bibliothek hat gerade zu. Die Lösung heißt Offener Bücherschrank.
Im November 2003 wurde von der Bürgerstiftung Bonn auf der Poppelsdorfer Allee der erste Offene Bücherschrank Deutschlands aufgestellt. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte: 25 Offene Bücherschränke gibt es inzwischen in Bonn, und das Konzept hat auch andernorts zahlreiche Nachahmer gefunden.
Die Idee kam von der Innenarchitekturstudentin Trixy Royeck, heute Designerin, Bühnenbildnerin und Ilustratorin in Bonn. Sie kannte das Projekt zweier amerikanischer Künstler, die in Mainz einen alten Schaltkasten zum Bücherregal umgebaut und die darin getauschten Bücher beobachtet hatten. Trixy Royeck entwickelte ihrer Studienarbeit, diese Idee in dem Entwurf eines Stadtmöbels zum Einstellen, Entnehmen und Tauschen von Büchern weiter und reichte diese 2002 bei der neu gegründeten Bürgerstiftung Bonn ein, die einen Ideenwettbewerb zur Verbesserung des gesellschaftlichen Lebens in der Stadt ausgeschrieben hatte.
Seit 2008 sind die Bücherschränke von Hans-Jürgen Greve designt. Sie bestehen aus robustem Cor-Ten-Stahl, die Regale aus filigranem Glas: „Damit wird der Wert des Inhalts Buch, das schützenswert ist, unterstrichen“, sagt Trixy Royeck und stöbert interessiert an der Poppelsdorfer Allee: Zwischen einer Bibel, einem vegetarischen Kochbuch und einer Reihe von Skandinavien-Krimis zieht sie Jurek Beckers Roman „Jakob der Lügner“ heraus.
Das Prinzip der Offenen Bücherschränke ist ganz einfach: Sie stehen im öffentlichen Raum, sind für jedermann zugänglich. Die Bücher können zu jeder Tageszeit kostenlos mitgenommen, gelesen und zurückgebracht oder auch gegen andere Bücher eingetauscht werden - ganz ohne Leihfristen oder sonstige Formalitäten. Alle sind herzlich eingeladen und jedes Buch ist willkommen: Lustiges und Spannendes, Poesie und Fachliteratur. Um der Jugend den Zugang zum Lesen zu erleichtern, ist das unterste Fach für Kinderbücher reserviert. Jeder Bücherschrank ist eine Fundgrube und präsentiert sich täglich mit neuem Angebot oft auch von Literatur, die in Buchläden nicht mehr vorhanden ist. Es ist ein Geben und Nehmen. Die Bücher erhalten so ein zweites oder sogar drittes Leben, und Menschen mit geringeren finanziellen Möglichkeiten einen Zugang zu Literatur. „Solch ein Bücherschrank ist auch ein Knotenpunkt im städtischen Leben, ein Ort der Kommunikation“, erläutert Trixy Royeck.
Ziel der Bürgerstiftung Bonn ist es, nach und nach möglichst alle Stadtteile mit Bücherschränken zu versorgen. Wenn es vor Ort Initiativen gibt, die sich für die Aufstellung einsetzen, sich für die Pflege verantwortlich fühlen und die Finanzierung (6000 Euro) sicherstellen, wird die Bürgerstiftung aktiv: Sie unterstützt bei der Sammlung von Spenden, kümmert sich um die Genehmigung zur Aufstellung, die Versicherung des Bücherschranks, den Aufbau und übernimmt auch mögliche Reparaturen in der Zukunft. Die Offenen Bücherschränke werden ehrenamtlich von Anwohnern und Nutzern betreut, die als Paten regelmäßig einen Blick auf den Inhalt und den Zustand werfen.
Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Bürgerstiftung Bonn wurde die Nutzung der offenen Bücherschränke im Wintersemester 2021/22 im Rahmen eines forschungsorientierten Methodenseminars am Geographischen Institut der Universität Bonn analysiert. Dazu wurden an fünf ausgewählten Standorten während sechs Wochen das Einstellen und Entnehmen von Büchern protokolliert sowie Beobachtungen und Interviews durchgeführt.
Das Ergebnis: Die Zählungen zeigen deutlich, dass die Bonner Bücherschränke gerne und viel genutzt werden. Bereits nach fünf Tagen wurden mehr als die Hälfte der insgesamt 1130 markierten Bücher aus den Schränken entnommen, nach sechs Wochen war der Anfangsbestand auf 12,3 Prozent zurückgegangen. Zugleich wurden kontinuierlich neue Bücher eingestellt. Besonders häufig finden sich Romane aus den vergangenen Jahrzehnten. Nur selten sind die Bücher in einem sehr schlechten Zustand.
Die Befragungen der Nutzer haben gezeigt, dass diese das Angebot der Offenen Bücherschränke aus vielen Gründen schätzen: wegen des großen Angebots, der unkomplizierten Verfügbarkeit, der Möglichkeit zu stöbern und Entdeckungen zu machen, aber auch, weil sie zu einem Treffpunkt für Bücherfreunde geworden sind, wo man miteinander ins Gespräch kommen und sich austauschen kann.
Und die Erfolgsgeschichte geht weiter: Die nächsten Offenen Bücherschränke entstehen in Pützchen - auf dem kleinen Wiesenstück vor dem Pfarrzentrum und dem Brünnchen - und in Schweinheim auf dem Schweinheimer Platz. Trixi Royeck ist sich sicher: „Auf Dauer wird es in jedem Bonner Ortsteil einen Offenen Bücherschrank geben!“ VON BRIGITTE LINDEN
Näheres zu dem Projekt und einen Link zum Spenden findet man unter: www.buergerstiftung-bonn.de/projekte/offene-buecherschraenke