„Es spricht für den schöpferischen Genius dieses Ortes, dass immer wieder neue Anfänge gewagt werden", passt dieses Zitat von Alanus-Mitbegründer Heinz Georg Häußler heute noch zu Alanus?
Marcelo da Veiga: Es ist ein guter Gedanke. Auch als ich damals 2000/01 hierherkam, ging es um Neuanfang oder darum, dass etwas neu beginnt, ohne dass klar war, wie es aussehen könnte. Also dass Alanus immer wieder neu ansetzt, ist eine gute Beschreibung.
Hans-Joachim Pieper: Auch in den letzten fünf bis zehn Jahren gab es nochmal deutliche Veränderungen an der Hochschule, aber so wie ich das wahrgenommen habe, eben keine, die die ,,Marke Alanus" verändert hätten. Es hat sich an der Alanus inzwischen eine Substanz herausgebildet: das Fächerspektrum, das mit bestimmten Ansätzen und Vorgehensweisen einhergeht, das ganzheitliche Menschenbild und die Interdisziplinarität. Es gibt immer wieder Neuerungen, mit denen man innovativ auf Veränderungen in der Gesellschaft reagiert, aber sie betreffen nicht den Kern des Alanus-Gedankens, da gibt es eine Kontinuität.
Gesellschaft zukunftsfähig gestalten, ist die Vision der Hochschule und auch das Motto des Jubiläums. Kann man sagen, dass das bereits vor 50 Jahren ein Thema war?
Da Veiga: Ja, es ging immer darum, sich nicht anzupassen und neue Impulse zu setzen. Zunächst war die Alanus Hochschule eine rein anthroposophische Einrichtung, die sich in den 70er und 80er Jahren vom Mainstream der Gesellschaft absetzte. Es war auch ausdrücklich gewollt, dass diese Initiative nicht staatlich, auch nicht staatlich anerkannt ist, sondern eine freie unabhängige Kunststudienstätte. In der späteren Weiterbildungseinrichtung kamen zur Kunst mehr anwendungsbezogene Aspekte hinzu: Therapie, Kunst im Sozialen und Pädagogik. Und zur Jahrtausendwende entstand die Idee, eine staatlich anerkannte Kunsthochschule zu werden. Das war vielleicht die massivste Veränderung, auch weil die Aufmerksamkeit von außen plötzlich eine ganz andere wurde. Sobald man in die Kategorie Kunsthochschule wechselt, gelten auch völlig andere Regeln. Das ist wie ein Aufstieg aus der Kreisliga in die erste Bundesliga, weil es eine Gleichstellung der Alanus Hochschule mit den Kunstakademien in Düsseldorf, Münster usw. bedeutet.
Der Gedanke, dass hier eine staatlich anerkannte Hochschule entstehen könnte, war schon da, als Sie zur Hochschule kamen?
Da Veiga: Genau, die Idee war da, einen nächsten Schritt machen zu wollen. Uns war aber nicht so ganz klar, wie komplex das ist. Es war auch das erste Mal, dass ich mit dem Thema „Staatliche Anerkennung einer Hochschule" in Berührung gekommen bin. Aber ich war fasziniert von der Idee, einen neuartigen akademischen Ort aufzubauen, den es so in Deutschland nicht gab. Es ging darum, einen offenen Diskursraum für Anthroposophie und spirituelle Bildungsaspekte zu ermöglichen. Diese fundierte Auseinandersetzung mit anthroposophischen Themen ist bis heute ein Alleinstellungsmerkmal der Alanus Hochschule. Sie kann hier einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten. 2001 habe ich auch die Software AG - Stiftung von diesem neuen Hochschulkonzept überzeugen können, sich mit zu engagieren und zu investieren. Das war entscheidend für die weitere Entwicklung. Nicht alles ging reibungslos, aber die Bereitschaft war bei allen Beteiligten da, sich auf den Prozess einzulassen, auf den Wandel von einer nichtakademischen und sagen wir mal programmatischen anthroposophischen Institution zu einem Hochschulsetting, an dem ein akademischer Diskursraum eröffnet wird, in dem sich das geisteswissenschaftliche Konzept der Anthroposophie dann bewähren muss, untersucht und auch kritisiert wird. Das war die neue Ausrichtung im Selbstverständnis der Hochschule. Es ist uns über die Jahre gut gelungen, diesen akademischen Diskursraum zu etablieren und das zuständige Ministerium und den Wissenschaftsrat zu überzeugen. Dies wurde im Rahmen der beiden Institutionellen Akkreditierungen dann auch deutlich hervorgehoben.
Pieper: Ich würde es sogar noch unterstreichen, denn der Wissenschaftsrat hat bei der letzten Institutionellen Akkreditierung im Jahr 2021 nochmal ausdrücklich gewürdigt, dass dieses Alleinstellungsmerkmal, die Auseinandersetzung mit Waldorf-Pädagogik und anderen Handlungsfeldern der Anthroposophie, zu unseren herausragenden Aufgabenfeldern gehört, und uns darin bestärkt, das sichtbar zu machen. Das war eine große Bestätigung für das, was du auf den Weg gebracht hast.
In den letzten 20 Jahren sind noch viele Studiengänge entstanden. Inwiefern hat das die Hochschule verändert?
Pieper: Die Hochschule, wie ich sie 2014 dann kennengelernt habe, hatte bereits das Gepräge einer modernen Hochschule mit einem sehr breit gefächerten Studienangebot, aus den Bereichen der Bildenden und Darstellenden Künste über Architektur und Therapie hin zu Wirtschafts- und Bildungswissenschaften. Diese Entwicklung in den wissenschaftlichen Fachbereichen brachte auch einen entsprechenden Forschungsoutput mit sich. Das hat sehr zur Sichtbarkeit und zum positiven Bild von Alanus auch weit über Alfter hinaus beigetragen. Für mich hat es damals einen besonderen Reiz dargestellt, dass die Künste in allen Fächern, in allen Studiengängen eine maßgebliche Rolle spielen. Das ist ein wichtiges Kernelement unserer Hochschule und darin liegt in meinen Augen auch unser Zukunftspotenzial.
Da Veiga: Als 2005/06 Betriebswirtschaftslehre als erstes wissenschaftliches Fach eingeführt wurde, bekamen wir plötzlich mehr Aufmerksamkeit. Nach der Anerkennung des Wirtschaftsstudiengangs konnten wir weitere wissenschaftliche Bereiche aufbauen und das Promotionsrecht einführen. Es war eine ganz besondere Dynamik, in deren Verlauf die Alanus Hochschule dann eine Hochschule eigener Art geworden ist, denn es gibt weder eine Uni - noch eine Hochschule, die so ist. Das ist sui generis, Alanus ist da ihr eigenes Beispiel.
Es heißt immer wieder, es gäbe einen ,,Alanus-Spirit", wo macht sich dieser bemerkbar?
Pieper: Unsere beiden Campi in Alfter sind ganz besondere Orte, von denen eine sehr inspirierende Ausstrahlung ausgeht. Von der Lage des Johannishofs in unmittelbarer Nähe des Kottenforstes, dem modernen Campus an der Villestraße und natürlich von den Menschen. Es sind schon sehr besondere Menschen, die sich hier engagieren und mit den Ideen, den Fächern und den Orten verbinden und daraus auch ihrerseits wieder Kraft schöpfen. Genius loci, die Atmosphäre, die durch den Geist der Menschen an diesen Orten geprägt wird. Im Wesentlichen ist für mich Alanus-Spirit der Gedanke der Interdisziplinarität, der Verbindung von Kunst und Wissenschaft und der verschiedenen Lebensfelder und Sinnbereiche, in denen wir uns bewegen, also Rationalität, Emotionalität, Spiritualität, Leiblichkeit, Kreativität. Das alles zusammenzubringen zu einem schöpferisch wirkenden Ganzen, das ist zentral für Alanus. Und über 50 Jahre so einen Gedanken zu weiterzuentwickeln. Selbst wenn man nur 20 Jahre zurückguckt, ist das eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Das funktioniert nur, weil dieser Spirit von den meisten Menschen geteilt wird, weil sie eben deshalb hier sind. Das ist schon großartig.
Brauchen wir die Kunst, um Veränderungen in der Gesellschaft schaffen zu können?
Da Veiga: Ich glaube, wir brauchen eine künstlerische Haltung, die etwas Vorhandenes nicht einfach vorhanden sein lässt, sondern umformt in etwas anderes. Das ist ja das, was Künstler:innen im weitesten Sinne machen, dass sie einen vorgegebenen Stoff, einen Stein, Farbpigmente, Leinwand oder ihre eigene Leiblichkeit, also im Schauspiel oder in der Bewegung, dass sie das aufgreifen und dann zum Ausdruck bringen. Also Kunst kann auf jeden Fall die Verwandlungsbereitschaft ansprechen.
Pieper: Ich glaube, in der Kunst sind einige Kompetenzen besonders ausgeprägt, die für Veränderungsprozesse sehr wertvoll sind: Inspiration, Kreativität, die Absicht, überhaupt etwas schaffen zu wollen oder verändern zu wollen. Aus Material etwas Neues herzustellen, mit Gedanken Materie zu durchdringen und dann eben Materie auch gemäß Vorstellungen oder Ideen neu zu gestalten. Das wird in der Kunst besonders befördert und deshalb kann die Kunst auch einen ganz wichtigen Impuls für Veränderungen bringen.
Da Veiga: Kunst kann auch Experimentierfreude wecken: Sie muss nicht sofort gelingen. Eine solche Einstellung zu vermitteln, hilft auch in anderen Bereichen, so entstand auch die Idee mit dem Wirtschaftsstudium damals. Götz Werner, der Gründer von dm-drogeriemarkt, der selbst ja kein Künstler war, hat das auf folgende Formel gebracht: aufgreifen und verwandeln. Das war grundsätzlich seine Haltung, so hat er sich als Unternehmer verstanden.
Pieper: Die Möglichkeit mit künstlerischen Prozessen und mit philosophischen Angeboten auch eigenes Denken zu unterstützen: Das trägt sehr dazu bei, Menschen, die von sich aus auch den Impuls in der Regel ja schon mitbringen, noch stärker zu befähigen, sich gesellschaftlich gestaltend einzubringen. Konkret erleben wir das jetzt natürlich beim Thema Nachhaltigkeit in den unterschiedlichsten Facetten. Soziale, ökologische, ökonomische, kulturelle Nachhaltigkeit, dass wir da sehr engagierte junge Menschen haben, die eigene Ideen mitbringen, die wir dann aber auch eben in Praxisseminaren unterstützen und fördern. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Weg, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung dahingehend zu unterstützen, dass sie den Mut haben, eigenverantwortlich Schritte zu gehen in Richtung eines selbstbestimmten und für die Zukunft auch gesellschaftlich wertvollen Lebens.
Welchen Wunsch haben Sie für die Zukunft der Alanus Hochschule?
Da Veiga: Ich wünsche mir, dass die Alanus Hochschule aus einer starken inhaltlichen Bildungsvision heraus lebt und immer wieder die richtigen Partner findet, die das unterstützen und mittragen.
Pieper: Ich wünsche mir, weil es ja eine Kunsthochschule ist, dass Leichtigkeit und spielerische Kreativität stattfinden können. Dazu gehören hin und wieder auch mal chaotische Anflüge und etwas Anarchie. Auf dem Weg dahin finde ich es ebenso wichtig, dass wir junge Menschen darin unterstützen, in ihren verschiedenen Lebensfeldern eigenverantwortlich und kreativ voranzukommen, auch sich zuzutrauen, eigene Wege zu gehen, und dass wir dafür einen Raum bereitstellen, in dem das möglich ist. Das würde ich mir sehr wünschen, dass das gelingt.
Das Gespräch führte Julia Wedel
Der Künstler
Noah Kauertz ist 1993 in Indien (Puducherry) geboren und in Spanien aufgewachsen. Seit 2017 studiert er an der Alanus Hochschule in der Malereiklasse von Professor Andreas Orosz. Er befindet sich in den letzten Zügen seines Masterstudiums Bildende Kunst (Master of Fine Arts), welches er im Sommer abschließen wird, um dann als Meisterschüler sein Studium weiter fortzusetzen.
Das Werk
Das Werk: „Die Malkunst", 2023, 170x190cm, Öl und Acryl auf vier Leinwänden, Noah Kauertz
Noah Kauertz über sein Werk: ,,In meinem Gemälde geht es um den künstlerischen Schaffungsprozess von gemalten Bildern, die ihre eigene Wirklichkeit entfalten. Ich schöpfe das Kreative aus Räumen und Situationen aus meinem Leben; das Atelier ist für mich so etwas wie mein ,,Wohnzimmer" geworden. Das findet in diesem Bild Reflektion, aber auch Anerkennung. Es ist Teil meiner Masterarbeit, die ich im Rahmen des Rundgangs im Juni präsentieren werde."
Der ,,Master of Fine Arts"
Im Masterstudium entwickeln ausgebildete Künstlerinnen und Künstler ihr künstlerisches Profil weiter und setzten sich mit Kunst und Kunstvermittlung in der Gesellschaft auseinander. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes künstlerisches Projekt. Das Masterstudium dauert in der Regel zwei Jahre (Vollzeit).
Der Jubiläums-Rundgang
Vom 15. bis 18. Juni lädt die Alanus Hochschule zum Jubiläumsrundgang Bildende Kunst ein. Am Campus I - Johannishof und am Campus II - Villestraße präsentieren Studierende ihre künstlerischen Abschlussarbeiten. Neben den Studiengängen der Bildenden Künste, zeigen auch Studierende anderer Studiengänge ihre Arbeiten, beispielsweise auch aus den Fachbereichen Architektur und Schauspiel.