Das Jahr 2023 bot wieder reichlich Grund für Klagen: Energie war knapp und teuer. Die Inflation leerte die Konten. Die Ampel stritt erst über Heizungen, dann über Kindergrundsicherung und am Ende über einen Haushalt, der einfach zusammengefallen war. Die Wirtschaft kam nicht vom Fleck. Die Bahn blieb notorisch unzuverlässig, und die Verkehrswende macht das Autofahren und Parken unerfreulich.
Außerdem ging der Krieg in der Ukraine weiter. Dann überfielen die Hamas-Terroristen Israel und erschütterten die deutsche Gesellschaft in ihrem anti-antisemitischen Selbstbild. Es folgte Pisa. Die Klimakrise ist trotz verregnetem Sommer und Wintereinbruch vor Weihnachten erwartungsgemäß ungelöst. Es wird immer wärmer auf der Erde. Daran werden auch radikale Kurswechsel der Politik so schnell nichts ändern.
Da auch die Fußball-Nationalmannschaften beiderlei Geschlechts keinen Trost boten, erhellt sich die Jahresbilanz nicht nennenswert. 2023 verwandelte ein paar Traumschlösser in Ruinen. Aber was soll das Jammern? In Sachen Krise sind wir inzwischen sehr erprobt. Krisenmodus heißt das Wort des Jahres. Was ist dem noch hinzuzufügen?
Bleibt eine Erkenntnis: Wir halten eine ganze Menge aus, ohne dass es die Gesellschaft wirklich aus der Kurve trägt. Wenn wir uns auf weitere Krisen einrichten, nicht davon ausgehen, dass es immer leicht läuft und alles immer besser wird, dann kommen wir zurecht. Das ist als Vision für die Zukunft weniger, als vor zehn Jahren normal war. Aber auch damals sorgte man sich schon um Stabilität und Wohlstand. Die Zeiten ändern sich, die Klagen bleiben.
Weihnachten 1948, vor 75 Jahren, steckte das Land in einer schweren Krise: Der Parlamentarische Rat in Bonn hatte sich zerstritten und kam mit seinem Grundgesetz nicht voran. Die Alliierten legten die Debatten lahm. Man sah sich vor dem Scheitern. Berlin erlebte einen eisigen Hungerwinter mit der Luftbrücke. Krieg lag in der Luft. Die Gewerkschaften riefen einen Generalstreik aus, weil die Währungsreform die Einkommen der Arbeitnehmer pulverisierte. Es waren schlimme Zeiten.
Dann kam der Frühling, und am 23. Mai 1949 trat die Bundesrepublik Deutschland ins Leben. Das Bonner Grundgesetz war ausgehandelt, beschlossen und verkündet. Es gilt bis heute als Glücksfall und steckt den Rahmen für unser Zusammenleben. Dieses Grundgesetz ist ein Kind von Krisen. Es baut konsequent auf Freiheit, Recht und Demokratie; es wehrt sich gegen populistische Vereinnahmungen und Feinde der Demokratie. Es organisiert den politischen Ausgleich von Interessen und Konflikten. Es fordert den Kompromiss in der Sache und den Streit um die beste Lösung. Am Anfang steht der große Satz von der Würde des Menschen, die unantastbar sein soll. Das setzt den Ton. Dieser Satz hebt sich über alle Krisen hinweg. Dieser Satz entstand in Bonn. Heute wirkt er wie ein Appell, vielleicht ein wenig größer zu denken als der krisenreiche Alltag es gerade nahelegt. Das ganze Land wird im kommenden Jahr das Grundgesetz feiern. Der 75. Jahrestag bietet die Chance, Bonn als Stadt des Grundgesetzes zu positionieren. Keine andere deutsche Stadt kann das glaubwürdiger tun. Vielleicht nutzt Bonn die Gelegenheit, noch mehr als bisher für Freiheit, Recht und Demokratie zu streiten und aus der eigenen Geschichte ein Ziel für die Zukunft zu machen. Das ist in diesen Zeiten jede Mühe wert.
Und die Krisen? Die Unsicherheiten? Die Gefahren? Sie werden uns ganz gewiss auch 2024 begleiten. Der Jahrestag des Grundgesetzes wird uns erinnern, wie falsch es wäre, die Chancen aus dem Blick zu verlieren.