Champions-League-Sieger 2023 - Triumph, Niederlage und ein neues Kapitel in der Vereinsgeschichte

Telekom Baskets Bonn: Nicht mehr nur geträumt

Dieses bleibt für immer: 14. Mai 2023, Malaga - die Telekom Baskets sind Champions-League-Sieger FOTO: WOLTER

Der 14. Mai ist ein angenehmer Frühlingstag in Malaga. Doch auf dem betonierten Vorplatz des Palacio de Deportes José María Martín Carpena steht die Luft. Statt einer Brise wehen Stimmen von der Costa del Sol herüber. Viele Stimmen. Sie kommen näher: „Aufgeht's, Baskets! Kämpfen und siegen!“ Bumbumbum-bumbum-bum-bumbumbum. Trommeln geben den Takt vor. So, wie sie es während der gesamten Saison getan haben. So, wie die Fans ihre Telekom Baskets zu 46 Siegen aus 50 Spielen in Bundesliga und Champions League gepusht und sie anschließend gefeiert haben. Sie sind auf dem Weg zur Halle.

„Wir glauben nicht, dass wir jedes Spiel gewinnen können, wir wissen es“

Die Saison ist schon jetzt ein Meilenstein in der Baskets-Historie. In der Bundesliga-Hauptrunde hat die Mannschaft von Mastermind Tuomas Iisalo nur gegen Ludwigsburg und Berlin verloren, in der Champions League gegen Reggio Emilia und Strasbourg. Dazu das ErstrundenAus im Pokal gegen Berlin. Die Saison hat sich wie eine Lawine entwickelt. Mit jedem Sieg glaubt das Team um den von keinem Gegner beherrschbaren Spielmacher TJ Shorts mehr an sich. Wird immer gnadenloser. Führt hoch, nimmt den Fuß niemals vom Gas. Iisalo lässt das nicht zu.

Es ist die zweite Saison des Finnen an der Baskets-Seitenlinie. Das Projekt ist langfristig geplant. Nach einigen Jahren, in denen der Bundesliga-Dino die Bedeutungslosigkeit ansteuerte, ist der smarte Cheftrainer geradezu ein Heilsbringer geworden. „Winning is a habit“, hat er seinem Team eingetrichtert - und dem alles untergeordnet. Talent ist nicht das Wichtigste. Er hat nur Spieler ausgewählt, die seinen Weg mitgehen. Und der ist beschwerlich. Aber er bringt die Baskets an die Spitze der Abschlusstabelle und so in die beste Ausgangsposition für die Playoffs.

Das Iisalo-Team hat den Telekom Dome bis unter den Rand gefüllt. Ausverkauft, ausverkauft, ausverkauft. Immer wieder. Auch auswärts ist das attraktive Spiel der Bonnerein Publikumsmagnet, gegnerische Trainer lobhudeln, Reporter drehen verbale Pirouetten. Iisalo ist der Trainer des Jahres in Bundesliga und Champions League, Shorts der Spieler des Jahres in beiden Wettbewerben.

Dass die Finanzierung des Langzeitprojekts Iisalo wackelt und mit dem möglichen Erfolg unmöglich werden wird, verdrängen an diesem Wochenende in Spanien alle, die das wissen. Volle Konzentration. Das wichtigste Spiel der Baskets-Geschichte dribbelt in den Bäuchen aller. Der Fans, der Vereinsmitarbeiter. Auch für Spieler und Trainerteam ist es das größte Ereignis ihrer Karriere.

Gut 500 Fans in Trikots sämtlicher Baskets-Generationen sind nach Malaga gereist. Sie haben die Ups und Downs des Vereins erlebt, viele haben Tränen vergossen. Manche sind zurück, nachdem sie nicht mehr an einen Erfolg ihrer Baskets geglaubt und die Dauerkarte gegen Freizeit am Wochenende eingetauscht hatten. Jetzt sind sie alle da. Manche waren so optimistisch, dass sie vor der Qualifikation für das Top-4-Turnier den Trip nach Malaga buchten. Wer nach dem gewonnenen Halbfinale noch kurzfristig Hotel und Flieger ergattern kann, lässt es sich nicht nehmen, diesen Tag mitzuerleben.

„Auf geht's, Baskets! Kämpfen und siegen!“ Bumbumbum-bumbumbum-bumbumbum. Die traditionell eher zurückhaltend euphorischen Baskets-Fans haben das Selbstverständnis „ihrer“ Mannschaft nicht erst mit dem Halbfinalsieg gegen Unicaja Malaga zwei Tage zuvor übernommen: Alles ist möglich. „Wir glauben nicht, dass wir jedes Spiel gewinnen können, wir wissen es“ ist auch so ein typischer Iisalo-Satz. Er hat allen genau dieses „Mindset“ auf die Festplatten gespielt.

Ein Aber erwartet kaum jemand, doch da ist eines: Die Saison entwickelt sich wie ein Jenga-Spiel - der Holzturm, aus dem nach und nach Klötzchen herausgezogen werden, bis er umstürzt. Und die kritische Phase dieses Baskets-Jenga hat ausgerechnet jetzt begonnen. Im Halbfinale verletzt sich Teamkapitän Karsten Tadda früh am Rücken. Der Routinier kennt seinen Körper und weiß: Das war's für diese Saison.

Der Turm steht immer noch stabil. Der Sieg im Finale ist kaum weniger souverän als all die anderen Bonner Erfolge, die die Basketball-Bubble so beeindruckt haben und die Baskets-Fans auf einer zart magentafarbenen Wolke durch die Saison haben schweben lassen. Der Traum geht weiter und ist doch keiner mehr. 77:70 gegen Hapoel Jerusalem. Champions-League-Sieger. Der erste Titel der Telekom Baskets Bonn.

In Malaga und zu Hause flirren alle zum ersten Mal durch diese Champion-Gefühlswelt wie das goldene Konfetti, das aus der Partykanone in die gebrauchte Hallenluft geblasen wird und zu Boden schwebt. Auf der Tribüne, weit oben, weinen die Fans. Auf dem Feld heulen die Helden. Der kühle lisalo gibt später im Film „Relentless (Unerbittlich)“ über diesen Erfolg zu Protokoll: „Ich habe geflennt wie ein kleines Kind.“ Auch er.

Selbstverständlich wird gefeiert, allerdings nicht standesgemäß. Denn der nächste Jenga-Stein wurde mit Vorankündigung gezogen. Die Erholungsphase bis zu den Playoffs ist sehr kurz. Schon drei Tage nach dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte müssen die Baskets zum ersten Spiel der Viertelfinalserie gegen die Niners Chemnitz antreten. „Wir können schließlich nicht ewig auf die Baskets warten“, sagt Ligachef Stefan Holz und macht sich damit in Bonn wenig Freunde.

3:0, 3:0. Die Serien gegen Chemnitz und Ludwigsburg absolvieren die Baskets wie gehabt. Souverän. Doch der spätere Finalgegner nimmt parallel gewaltig Fahrt auf. Ratiopharm Ulm haut in Viertel- und Halbfinale zuerst den Hauptrunden zweiten Alba Berlin und dann den Dritten FC Bayern aus dem Rennen um die deutsche Meisterschaft. Damit ist klar: Iisalos „Mentalitätsmonster“ müssen sich einem Jengaturm stellen, der eher Klötze hinzugefügt hat, als welche zu verlieren.

Collin Malcolm verletzt, Javontae Hawkins verletzt-zwei Bonner Steine weniger. Niemand weiß, niemand soll wissen, dass der vielleicht entscheidende Quader im Training vor Spiel eins aus dem Turm gezogen wird. TJ Shorts knickt mit dem Fuß um. Der Spieler der Saison ist seiner wichtigsten Waffe beraubt: der Schnelligkeit, mit der er seine Haken schlägt und die Gegner abhängt. Das macht etwas mit dem gesamten Team. Die Jetzt-erst-recht-Mentalität kommt erstmals an ihre Grenzen. Der Turm wackelt.

Den nächsten Holzklotz zieht dann wieder die Liga aus dem Bonner Turm. Nach der Auftaktniederlage gewinnen die Baskets Spiel zwei zwar deutlich, doch nach einer Rangelei wird Mike Kessens für drei Spiele gesperrt. Die Experten sind sich einig: eine unverhältnismäßig harte Strafe. Die Ulmer Beteiligten an diesem Scharmützel gehen straffrei aus. Die Serie wechselt bei 1:1 nach Ulm. Dort fällt der Turm. Ulm holt sich den Titel.

Tuomas lisalo sagt: „Ich habe geflennt wie ein kleines Kind“

Beim Verlassen der Arena feiern die Baskets-Fans ihr Team wie den deutschen Meister. Eine Abschlussfeier vor Tausenden auf dem Münsterplatz schließt eine grandiose Saison ab. Nach und nach wird klar: Niemand bleibt, die Champions-League-Sieger sind für die Baskets nicht mehr zu finanzieren. Auch nicht mit dem neuen Vertrag mit der Telekom.

Für die Basketball-Fans schließt sich ein dennoch traumhafter Spätsommer an. Angeführt vom überragenden Dennis Schröder werden die deutschen Basketballer in Manila Weltmeister. Das 83:77 im Finale gegen Serbien sehen die Telekom Baskets am 10. September gemeinsam mit den Fans im Bayern-Zelt auf Pützchens Markt.

Die komplett neu formierte Mannschaft um Trainer Roel Moors stellt sich dort vor. Sie tritt kein leichtes Erbe an. Das Iisalo-Team hat den Baskets den ersten Titel gebracht und das Platz-zwei-Trauma besiegt - aber dem Club damit auch eine große Herausforderung hinterlassen. Doch wer das viel propagierte Credo „Geduld“ verinnerlicht hat, durfte mit der Saison bis Mitte Dezember zufrieden sein - seither ist es etwas schwieriger geworden.

VON TANJA SCHNEIDER