Kontroverse um Maßnahmen zur Förderung von Klima- und Umweltschutz

Bonn: Die Verkehrswende polarisiert die Bürger

Auf der Oxfordstraße hat die Stadt Umweltspuren eingerichtet, die Bussen und Radfahrern vorbehalten sind FOTO: BENJAMIN WESTHOFF

Ein Thema, das die Menschen in Bonn in diesem Jahr besonders beschäftigt hat und die Wogen hochschlagen ließ und noch lässt, ist die Verkehrswendepolitik der Bonner Ratskoalition aus Grünen, SPD, Linken und Volt. Die einen unterstützen diese Politik als richtigen Weg zu mehr Klima- und Umweltschutz. Andere prophezeien den wirtschaftlichen Niedergang Bonns: Einseitige Bevorzugung des Fahrradverkehrs lautet ein Vorwurf. Ein anderer, die Bonner City sei für Autofahrer nicht mehr erreichbar und die ohnehin raren Parkplätze in der Stadt würden auch noch zugunsten des Radverkehrs abgeschafft oder die Parkgebühren unverhältnismäßig hochgesetzt.

Wir erinnern uns: Nach der Kommunalwahl 2020 und dem Sieg von Katja Dörner (Grüne) im Rennen um das Oberbürgermeisteramt hatte der Stadtrat bereits kurz nach der Wahl erste Pflöcke gesetzt: Im Februar 2021 beschloss er mit breiter Mehrheit das Bürgerbegehren Radentscheid mit all seinen Forderungen für Verbesserungen des Fuß- und Radverkehrs. Allein die Fraktionen von FDP und Bürger Bund Bonn waren dagegen. Zu den Forderungen des Radentscheids gehört unter anderem der Ausbau eines durchgängigen Radwegenetzes in Bonn mit jährlich 15 Kilometern neuen Radwegen. Außerdem sollen mehr Stellplätze für Fahrräder entstehen. Die Initiative hatte damals mehr als 28.000 Unterschriften für das Bürgerbegehren gesammelt. Eine erste Schätzung ging von Kosten in Höhe von mehr als 63 Millionen Euro aus. Einiges ist seither passiert.

Die Umweltspuren: Auf der Oxfordstraße gibt es mittlerweile in jede Richtung eine Umweltspur, die Bussen und Radfahrern zur Verfügung steht. Getestet wird eine weitere Umweltspur zurzeit auf dem Hermann-Wandersleb-Ring. Die Verkehrsführung entlang des Rheinufers auf Bonner Seite ist zugunsten des Radverkehrs geändert worden, auch steht der Beginn des ersten Bauabschnitts zum Umbau der Uferpromenade in einen Boulevard für Fußgänger bevor.

."Die Freigabe privater Flächen wird derzeit intensiv geprüft“

Der Cityring: Der Cityring ist in Höhe der Maximilianstraße gekappt, seither fließt deutlich weniger Individualverkehr durch die Innenstadt zum Hauptbahnhof. Radfahrer können aus Richtung Zentraler Busbahnhof (ZOB) über einen eigenen Radweg durch die Wesselstraße in Richtung Uni-Hauptgebäude und weiter zum Rhein radeln. Prügel musste die Ratskoalition dann allerdings unter anderem vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) einstecken, als sie entgegen der Empfehlungen des ADFC und auch der Stadtwerke vorschlug, im Zuge des geplanten Umbaus der Straßen Am Hof und Rathausgasse in Richtung ZOB Autos, Busse und Fahrräder auf einer gemeinsamen Spur zu führen. Da die Rathausgasse/Am Hof dort lediglich 3,50 Meter breit ist, sei künftig ein Überholen von Radfahrern in Richtung ZOB durch Busse mit den vorgeschriebenen 1,50 Meter Abstand nicht möglich, sodass Busse bis zum Kaiserplatz hinter Radfahrern herfahren müssten, hatte der verkehrspolitische Sprecher des ADFC, Gerd Billen, kritisiert. Dies entspreche nicht der Mobilitätswende, bei der das Radfahren attraktiver werden soll. Doch die Kritik verhallte. Der Stadtrat hat der Planung in seiner jüngsten Sitzung zugestimmt, im neuen Jahr soll Baubeginn sein.

Die Fahrradstraßen: Beschlossen hat der Rat die ab Frühjahr 2024 geplante Einführung von weiteren Fahrradstraßen. Bei dieser Planung erhitzen sich aktuell die Gemüter, weil in einigen Stadtteilen zahlreiche öffentliche Parkplätze wegfallen sollen. Alternativen wie Quartiersgaragen haben Verwaltung und Ratskoalition bisher nicht zu bieten. Allerdings: Die Frage, wo Menschen künftig ihr Auto abstellen könnten, sei selbstverständlich Bestandteil der Überlegungen zur Mobilitätswende, erklärt die Stadt Bonn auf Nachfrage des GA. „Die Freigabe privater Stellplatzkapazitäten, etwa auf Supermarktparkplätzen oder Ähnliches, wird seitens der Verwaltung derzeit intensiv geprüft“, so das Presseamt.

Die Adenauerallee: Die vierspurige Straße zwischen Bundeskanzlerplatz und Koblenzer Tor soll ab Februar bis voraussichtlich Ende April ebenfalls einem Verkehrsversuch unterzogen werden. Geplant ist, Autofahrern nur noch eine Fahrspur zur Verfügung zu stellen und auf den äußeren Spuren einen geschützten Radweg anzulegen (Protected Bike Lane). Hintergrund ist die notwendige Sanierung der Entwässerung und Fahrbahn der gesamten Adenauerallee, die ab Mai 2024 starten soll. Eine spätere Wiederherstellung des Status Quo sei nicht möglich, da nach den Anforderungen des geltenden Regelwerks der Verkehrsraum so aufgeteilt werden müsse, dass künftig genügend Sicherheitsabstand zwischen Autos und Radfahrern eingehalten werden könne, argumentiert die Verwaltung. Kritik hagelt es an dieser Planung vor allem deswegen, weil mit der Kaiserstraße und dem Rheinufer zwei parallel verlaufende durchgehende Radrouten zur Verfügung stehen.

Die Kontroverse: Angesichts der ganzen Maßnahmen tobt insbesondere auf Social Media eine lebhafte Debatte über Für und Wider der Verkehrswendepolitik. Im Fokus steht vor allem die Erreichbarkeit der Bonner City. Einige Autofahrer – vor allem aus der Region – kündigen deshalb an, sie wollten Bonn künftig meiden und nur noch nach Köln oder Siegburg zum Einkaufen fahren. Schneller werden sie dort allerdings auch nicht vorwärtskommen, wie jeder, der mit dem Auto schon mal in der Domstadt unterwegs war, aus Erfahrung weiß. Und von Schnäppchenpreisen für Parkplätze in Köln oder Siegburg kann auch keine Rede sein.

Die Wirtschaft: Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die Bonner Verkehrspolitik hat sich inzwischen die Initiative „Vorfahrt Vernunft“ gegründet – unter Beteiligung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg, der Kreishandwerkerschaft Bonn/ Rhein-Sieg, der Handwerkskammer Köln, des Einzelhandelsverbands, des Vereins City-Marketing und des Eigentümervereins Haus & Grund. Sie sehen die aktuelle Verkehrspolitik kritisch, wollen aber nicht nur klagen, sondern haben Stadt und Politik angeboten, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wie man einerseits dem Umweltund Klimaschutz und andererseits den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer Rechnung tragen kann. So plädiert die Initiative dafür, den Verkehrsfluss für Pendler, Dienstleister wie Handwerker und Pflegedienste zu verbessern. Bei den Umweltspuren auf Oxfordstraße und Hermann-Wandersleb-Ring etwa fordern die Initiatoren, diese auch für Handwerker, Pflegedienste und Taxis zu öffnen. Zur Kompensationwegfallender Parkplätze im Zugeder Parkraum-Bewirtschaftungskonzepte sowie der Schaffung vonFahrradstraßen schlägt die Initiativeden Bau von Quartiersgaragen vor.Potenziell geeignete Flächen sehensie unter Parks oder Schulhöfen.

Die Umfrage: Nach dem Ergebnis einer Forsa-Umfrage von General-Anzeiger und Radio Bonn/ Rhein-Sieg im vorigen Jahr halten35 Prozent der in Bonn Befragtenes für „sehr wichtig“, dass es „einesogenannte Verkehrswende gibt undder Autoverkehr stark eingeschränktund stattdessen der öffentliche Nahverkehr gefördert und das Radwegenetz ausgebaut wird“. 34 Prozenthalten dieses Vorgehen für „wichtig“. Macht zusammen immerhin69 Prozent. 31 Prozent erachten eineVerkehrswende hingegen für „nichtso wichtig“ beziehungsweise „unwichtig“. 64 Prozent der befragtenBonner empfinden das ÖPNV-Angebot sehr gut beziehungsweise gut,30 Prozent weniger gut beziehungsweise schlecht.

Ausblick: Bonn will bis 2035 klimaneutral werden. Das hat der Rat bereits 2019 beschlossen. Der Verkehrmacht laut Verwaltung mit mehr alseiner halben Million Kilogramm CO2 im Jahr über ein Viertel der gesamten städtischen Emissionen aus.Deshalb werden Einschränkungenfür den Autoverkehr unumgänglichsein, um das Ziel erreichen zu können. Wichtig dabei ist vor allem, dieBürger rechtzeitig und ausführlichzu informieren und sie zu beteiligen.Das ist in der Vergangenheit in Bonnnicht immer gut gelaufen und vielleicht auch eine Ursache dafür, dassdas Thema Verkehrswende derartpolarisiert. Offenbar haben Dörnerund Co. daraus ihre Lehre gezogen:Mit ihrer Informationskampagnezum Versuch auf der Adenaueralleescheinen sie jetzt auf dem richtigenWeg zu sein.

VON LISA INHOFFEN