Die Lobby der fossilen Energien tritt beim Klimaschutz weiter auf die Bremse. Doch Forscher warnen: Als der Globus sich das letzte Mal so erhitzt hatte wie heute, bedeutete das einen um sieben Meter höheren Meeresspiegel

Dürren, Brände, Fluten

Am stärksten trifft die Klima-Erhitzung die Länder des Globalen Südens: Dürre raubt den Menschen dort die Lebensgrundlage (wie hier Fischern bei Parintins im Amazonasgebiet) FOTO: DPA

Während das zurückliegende Jahr beängstigende Wetter und Klimawandel-Fakten lieferte, die Weltemission an Kohlendioxid (CO₂) gerade einen neuen Jahresrekord aufstellt und das zügige Ende des fossilen Geschäftsmodells empfiehlt (der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas), zögert die Weltklimadiplomatie weiter. Auf dem 28. UN-Klimagipfel (COP/ Conference of the Parties) in Dubai plädierten im Dezember zwar mehr als 100 Staaten für das Ende von Gas und Öl, aber keine Mehrheit und schon gar nicht eine einstimmige. Mit einer solchen muss nach dem Statut aber eine COP-Abschlusserklärung beschlossen werden.

Die Scheichs der Golfregion und viele andere Ölförderländer wollen so lange wie möglich an ihrem schwarzen Gold verdienen, dessen Verbrennung den Planeten aufheizt. Deshalb waren diesmal auch so viele Lobbyisten der Fossil-Konzerne bei einer COP wie nie zuvor. So wurde aus dem Ende der fossilen Ära nur eine „Abkehr“ und das „Ziel“, die erneuerbaren Energien „beschleunigt“ auszubauen.

So warm wie 2023 war es zuletzt vor 125.000 Jahren

Bereits Anfang Oktober hatte die US-Wetterbehörde NOAA „mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ vorhergesagt, dass 2023 das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen vor 174 Jahren werden würde. Sechs Wochen später bestätigte der EU-Klimawandeldienst Copernicus Climate Change Service (C3S) die Prognose. Mit einem beunruhigenden Zusatz: „Wenn wir unsere Daten mit denen des IPCC kombinieren, können wir sagen, dass dies das wärmste Jahr der vergangenen 125.000 Jahre ist“, sagte die stellvertretende C3S-Direktorin Samantha Burgess. Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) nutzt Messwerte aus Quellen wie Eisbohrkernen, Baumringen und Tiefseeablagerungen, mit denen sich weit in die KlimaVergangenheit blicken lässt.

Vor 125.000 Jahren herrschte die sogenannte Eem-Warmzeit, und der Meeresspiegel lag etwa sieben Meter höher als heute. Dass die Ozeane bis 2100 um weniger als einen Meter steigen, gilt mittlerweile als superoptimistische Annahme. Zu deutlich nagt die globale Erwärmung am vermeintlich ewigen Eis und destabilisiert die großen Eisschilde Grönlands und der Westantarktis.

Das 1,5-Grad-Ziel sollte genau das verhindern. Aber von Januar bis Oktober errechneten die Meteorologen bereits eine Erhöhung der Erddurchschnittstemperatur von 1,43 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit - wobei der Weltozean immer noch 90 Prozent der zusätzlichen Wärme schluckt und auch rund die Hälfte des atmosphärischen CO₂. In einer wärmeren Welt wird das nicht so bleiben. Die Physik lehrt: Kaltes Wasser löst CO₂ besser als warmes. Wenn sich die Meere weiter erwärmen (wie 2023 der Fall), bleibt mehr CO₂ in der Luft und treibt die Temperatur weiter. Exakt diesen Teufelskreis wollte die Weltklimagemeinschaft in Paris (2015) eigentlich verhindern - dass Rückkopplungsmechanismen im Klimasystem greifen, die den Trend der Erwärmung puschen, ohne dass der Mensch noch etwas tun kann.

Ob Dürre oder Flut: 2023 gab es von allem zu viel. Teile des Weltozeans waren extrem warm, insbesondere der Nordatlantik. In Griechenland gab es erst Dürren und Waldbrände, dann Sintfluten durch Sturmtief “Daniel“, das später übers Mittelmeer zog, sich mit Feuchtigkeit volltankte und dann bei der libyschen Stadt Derna zwei Dammbrüche verursachte. Bis zu 20.000 Menschen starben. Als sich im Sommer in Kanada Waldbrände landesweit von der Ost bis zur Westküste Kanadas ausbreiteten, „fraßen“ sie fast doppelt so viel Wald wie im bisherigen Rekordjahr. Friederike Otto, Klimaforscherin am Imperial College London, sprach von „sehr klaren Fingerabdrücken des Klimawandels“. Otto gilt als Mitbegründerin der Attributionsforschung, die mit ausgeklügelten Methoden herausfindet, wie viel Natur und wie viel Mensch in einem Extremwetter steckt.

Dieser Spezialbereich der Forschung könnte bald auch manche Beweislücke in einem der vielen Klimaprozesse schließen. Ihre Zahl hat sich seit 2017 weltweit auf mehr als 2200 verdoppelt. Es gab 2023 zwei aufsehenerregende Urteile: Im US-Bundesstaat Montana hatten 16 junge Menschen zwischen fünf und 22 Jahren auf ihr Recht auf eine saubere Umwelt geklagt. Die Richterin urteilte, es sei verfassungswidrig, wenn Behörden bei der Entscheidung über Erdöl- oder Gasprojekte die Klimafolgen nicht berücksichtigen. Möglicherweise ein Urteil mit Signalwirkung für die USA. Hierzulande urteilten Richter des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, dass die Regierung ihre eigenen Klimaschutzgesetze nicht erfülle, und verwiesen auf eklatante Defizite bei Verkehr und Gebäuden.

Im zurückliegenden Jahr mischte auch El Niño mit, eine natürliche Klimaschwankung. Sie hat 2023 ab Juli das Oberflächenwasser im östlichen Pazifik stark erwärmt und steht allgemein für „mehr Wärme“. Nur mit der sommerlichen Hitzewelle in Europa (da sind sich alle Wissenschaftler einig) hat sie nichts zu tun.

Die US-Denkfabrik Climate Central analysierte, dass im Juli über 6,5 Milliarden Menschen, rund 80 Prozent der Weltbevölkerung, von einem oder mehreren Extrem-Hitzetagen betroffen waren. Die Forscher untersuchten 4700 Städte und 200 Länder. Die Studie ergab, dass die Bewohner von 15 Megacities besonders unter sommerlichen Hitzespitzen leiden, etwa Mexiko-Stadt, Kairo, Kalkutta, Lagos, Hongkong, Miami und Khartum.

Das Bulletin des Erdklimas spiegelt nichts, was Hoffnung rechtfertigt. Eine Begrenzung der durchschnittlichen Erdtemperatur auf 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit erscheint unerreichbar. Aktuell gelten 2,5 bis 2,7 Grad als realistisch, sofern alle Staaten ihre freiwilligen Selbstverpflichtungen umsetzen. Der CO₂-Gehalt der Atmosphäre steigt indes immer weiter, wie auch der Welt-Ausstoß anderer Treibhausgase, etwa von Methan.

Denn der CO₂-Fokus verengt die Perspektive. Insgesamt 150 Staaten haben mittlerweile dem auf der COP26 in Glasgow vereinbarten Methanbeschluss (Global Methane Pledge) zugestimmt, bis 2050 etwa 30 Prozent weniger Methan freizusetzen. Es ist ein Hauptbestandteil von Erdgas und zugleich ein Treibhausgas, das - bezogen auf einen Wirkungszeitraum von 20 Jahren - die Lufthülle 80 Mal so stark aufheizt wie CO₂. Es reicherte sich immer mehr in der Atmosphäre an, und keiner konnte erklären, warum: Viehwirtschaft, Nassreisanbau, Mülldeponien schieden aus.

Neues Problem Methan: Es wirkt 80 Mal so erhitzend wie CO₂

Dann gerieten durch die Satellitenbeobachtung Lecks bei der Öl- und Gasförderung ins Visier, aber auch mangelhafte Abdichtungen von Fracking-Löchern in den USA. In einer Science-Studie wird vor allem Turkmenistan als Hauptsünder genannt. Weltweit entdeckten die Späher aus dem All 1800 Quellen weltweit, aus denen jeweils über 25 Tonnen Methan pro Stunde entweichen. Das Methanprojekt soll deshalb kleine Taten und große Wirkung verbinden: Das Verschließen aller Lecks und die Verschärfung von Regeln beim Abfackeln könnte die globale Erwärmung kurzfristig um 0,2 Grad Celsius senken.

Wenn die Nutzung fossiler Brennstoffe nicht bald gestoppt wird, sind Technologien der Hoffnungsträger, die es heute nur als Pilotprojekte gibt. Der Mensch muss dann bald das CO₂ aufwendig und kostspielig aus der Atmosphäre holen und unterirdisch speichern. Ein CO₂Freisetzungsstopp käme volkswirtschaftlich preiswerter, weil Extremwetter und von ihnen angerichtete Schäden milder ausfallen würden. Nun müssen vor allem die junge Generation und die noch Ungeborenen die Sanierung stemmen.

VON WOLFGANG WIEDLICH