Winzerfeste: Von Sommerfreuden, musikalischem Programm, Besucheransturm und der Krönung der Weinkönigin - Ein erblühender Tourismus nach der Flut

Ahrtal: Die Weinseligkeit ist zurück

Besucher des Weinfrühlings Mittelahr füllen auf dem Rotweinwanderweg bei strahlendem Sonnenschein ihre Gläser FOTO: AHR-FOTO

Die Spuren der Flut im Juli 2021 sind im Ahrtal noch heute deutlich zu erkennen. Dennoch war das zweite Jahr nach der Katastrophe mit mindestens 135 Toten auch das Jahr, in dem der Tourismus im Tal zumindest so etwas wie eine erste zarte Blüte der Post-Flut-Zeitrechnung erlebte. Grund dafür waren vor allem die zahlreichen Weinfeste. Sie erlebten einen Zulauf, der nach all dem Leid als Lichtblick gelten darf. An den Hängen der Weinberge standen mitunter Autos dicht an dicht geparkt, deren Kennzeichen nicht nur auf Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern auch dem europäischen Ausland schließen ließen.

Bereits früh im Jahr, der Name deutet es an, ging der Weinfrühling Mittelahr über die Bühne. Pünktlich zum Start Ende April hatte sich die Polarluft verzogen, und angenehm warme Temperaturen stellten sich ein. Und die - verbunden mit der Aussicht auf die guten Ahrtaler Tropfen und Gespräche mit den Winzerfamilien an den Orten, wo deren Trauben gedeihen ließen die Menschen aus einem großen Einzugsgebiet ins Ahrtal strömen.

Im Mittelpunkt stand nicht nur der Rotweinwanderweg, obwohl sich dort die meisten Stände der Winzer befanden. Auch der Abstieg von den Ahrtaler Höhen in die Winzerorte war lohnend, hatte doch auch hier manch ein Winzerhof seine Tore geöffnet, Weinstuben luden zum Verweilen unter freiem Himmel ein. Dazu gab es für die, die sich nicht auf die Höhen begeben wollten, eine Kinderwagen-Route“ von Dernau über Rech bis Mayschoß. Dort führte die Strecke überwiegend über flaches Terrain und gut befahrbare Wege, und auch hier warteten Winzer auf die neugierigen Gäste, die den 2022er Jahrgang auf seinen Geschmack testen wollten.

Das Gros der Weinfeste ging, so ist es Tradition, zur Zeit der Lese im späten Sommer und frühen Herbst über die Bühne. Ende August wurden in Ahrweiler die Weinwochen eröffnet. Zur Burgundia (so heißt die Weinkönigin in Ahrweiler) wurde die 24-jährige Michelle Quandt ernannt. Durch ein Fackelspalier der Junggesellen wurde sie im offenen Cabrio bis vor die Bühne auf dem Ahrweiler Marktplatz gefahren, um von dort aus von Bacchus Bernd Krah abgeholt und auf die Bühne geleitet zu werden. Schnell brandete Jubel unter den zahlreichen Besuchern auf dem gut gefüllten Marktplatz auf. An den zahlreichen Ständen freuten sich die vier Ahrweiler Junggesellenvereine, der Ahrweiler BC, die Ahrweiler Karnevalsgesellschaft und die Musikvereinigung Bad Neuenahr-Ahrweiler, auf die Gäste. Von der großen Bühne des Weinfests herab schallte ein besonders buntes musikalisches Begleitprogramm.

Was das musikalische Programm anging, so hörte sich das Dernauer Winzerfest schon fast wie früher an. Technobeats erschallten an der Kirche, Pop in der Eventhalle und Blasmusik auf dem Grundschulhof. Dazu kamen Stimmengewirr, Schunkeln und Gläserklingen. Auch optisch kam die Sause im September den Winzerfesten vor der Pandemie und der Flutkatastrophe schon wieder näher.

Trotzdem blickten Wanderer, die auch vom Wanderereignis „Weinherbst Mittelahr“ vom Rotweinwanderweg hinabstiegen, in noch im Wiederaufbau befindliche oder dem Abriss geweihte Häuser. Sie folgten aber auch dem Aufruf von Ortsbürgermeister Alfred Sebastian: „Feiern Sie mit uns, vergessen Sie mit uns die Flut!“

Beim „Weinherbst Mittelahr“ handelt es sich um die Nachfolge-Veranstaltung des „Wanderns für den Wiederaufbau“, das nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 Besucher ins Ahrtal lockte, um die Region zu unterstützen. Rund 20 Weingüter waren mit einem Stand auf dem Rotweinwanderweg vertreten, teilte der Verein Ahrtal-Tourismus mit. Zusätzlich zum Angebot auf dem 15 Kilometer langen Höhenweg hatten auch wieder viele Betriebe in den Weinorten für die Besucher geöffnet. Wo sich die Stände und Gastronomien befanden, war auf den Wanderkarten vermerkt, die es auf der Internetseite von „Zukunft Mittelahr“ gab. Jeder Besucher konnte individuell entscheiden, welche Stände und Betriebe besucht und welche Weine probiert würden.

Laut und anhaltend applaudierte das Publikum auf dem Mayschosser Waagplatz, als Lillian Schmitt ihrer Nachfolgerin im Ehrenamt der Mayschosser Weinkönigin die Krone aufs dunkle Haar setzte. Damit repräsentiert Jule Streich für ein Jahr das alte Weindorf und seine edlen Produkte, die in der Welt der Genießer seit Langem höchste Anerkennung finden.

Mit großem Eifer und Arbeitseinsatz hatten die Verantwortlichen vom Heimat- und Verkehrsverein den Festplatz nahe der Ahr gestaltet. Da der Weinbrunnen, der stark unter der Flut von vor gut zwei Jahren gelitten hatte, noch nicht wieder hergerichtet war, gab es stattdessen eine lange Theke für den Ausschank der edlen Tropfen.

Die zahlreichen Imbissstände waren dicht umlagert. Tische und Bänke luden zum Verweilen ein, und es hatte sich so viel Publikum eingestellt wie in besten Zeiten vor der Flut. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Mittelahr zum Wanderherbst eingeladen hatte. Der Einladung waren an dem sonnigen und nicht zu warmen Tag unzählige Wanderfreunde gefolgt. Offenbar wollten sie sich das Spektakel der Proklamation einer Weinmajestät nicht entgehen lassen. Zu dem wichtigen Ereignis fürs Dorf hatten sich auch zahlreiche Mayschosser eingefunden.

VON SVEN WESTBROCK, CHRISTINE SCHULZE UND THOMAS WEBER