Thema Mundhygiene: Parodontitis ist eine große Volkskrankheit, betrifft die Mundgesundheit und wirkt sich auf die allgemeine Gesundheit aus.

Prof. Dr. Søren Jepsen: Wenn der Zahn erst mal locker ist

Zur Zahnpflege gehört auch die Reinigung mit Interdentalbürstchen. FOTO: PRODENTE/KIERZKOWSKI

Ein Besuch beim Zahnarzt kann aufregend sein. Höchste Eisenbahn wird's, wenn der Zahnarzt überraschend eine Parodontitis diagnostiziert. Denn es handelt sich um eine Volkskrankheit mit zunächst stillem Verlauf. Auch deshalb sind die Vorsorgeuntersuchungen so wichtig: Nur in der Zahnarztpraxis kann sie frühzeitig erkannt werden.

Ein Blick ins Thema Mundhygiene zeigt, worum es hier genau geht. ,,Mundhygiene" - ein Wort, das man so recht selten hört, das aber sprachlich deutlich umfassender ist als der Ausdruck ,,Zähne putzen“. Denn genau genommen geht es neben den Zähnen dabei ums Zahnfleisch, um die Räume zwischen den Zähnen und um die Zahnfleischtaschen". Es geht um all die Bereiche, in denen sich ,,Bakterien so richtig wohlfühlen." Der Ausdruck stammt nicht etwa von einem Journalisten, der mal richtig auf den Putz hauen will, sondern von einem ausgewiesenen Experten zum Thema Parodontitis: Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, M.S. - Arzt und Zahnarzt und Spezialist für Parodontologie an der Bonner Universitätszahnklinik.

Professor Jepsen erklärt, was es mit dieser Parodontitis auf sich hat, die das Thema Karies schon seit einigen Jahren von der Prioritätenliste der Zahnmedizin verdrängt hat. Einige Bilder, die er für die bessere Verdeutlichung nutzt, zeigen wir an dieser Stelle lieber nicht. Die Informationen geben wir dafür umso lieber weiter. Es geht, grob gesagt, um die Schäden, die ins Ungleichgewicht geratene Bakteriengemeinschaften anrichten können. „Bakterien sind ja an sich nichts Schlimmes", erklärt der Mediziner. ,,Im Gegenteil: Mit den meisten Bakterien leben wir Menschen in friedlicher Eintracht - in Symbiose und dies trägt zur Gesundheit bei. Unterschiedliche Bakterien können sich ergänzen oder gegenseitig im Schach halten. Aber wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, sprechen wir von einer Dysbiose, die zu einer entzündlichen Reaktion einhergeht."

Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen FOTO: UKB
Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen FOTO: UKB

Auf den Zähnen, vor allem aber in den Zahnzwischenräumen und noch lieber in den Taschen zwischen Zahnfleisch und Zahn entwickelt sich ein sogenannter bakterieller Biofilm. Der Körper reagiert mit einer Entzündung des Zahnfleisches und anschließend - von außen nicht sichtbar-mit entzündlichem Abbau der den Zahn haltenden Gewebe (Fasern und Knochen). Unter den entzündlichen Lebensbedingungen in diesen Zahnfleischtaschen fühlen sich bestimmte krankmachende Bakterien besonders wohl, gewinnen die Überhand und treiben ihrerseits die Entzündung weiter voran.

Meist bemerken die betroffenen Patienten diese Entwicklung gar nicht, weil das Zahnfleisch noch unauffällig aussieht und keine Schmerzen bestehen. Doch darunter verborgen kann die Entzündung gären.

Neben einer unzureichenden Mundhygiene sind weitere Risikofaktoren in erster Linie Rauchen und Diabetes mellitus, aber auch eine genetische Disposition.

Wissenswert ist: Im Gegensatz zur Zahnfleischentzündung (Gingivitis), die wieder ausheilen kann, lässt sich der Abbau infolge einer Parodontitis nicht umkehren. Einmal abgebaute Gewebe, die den Zahn im Mund halten, bleiben zerstört. Geschätzt 35 Millionen Deutsche leiden nach Aussage der Bundeszahnärztekammer unter Parodontitis - viele wissen das nicht einmal. 10 Millionen von ihnen sind nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie schwer erkrankt. Die Folgen der weit fortgeschrittenen Erkrankung sind für die Betroffenen bitter: Mundgeruch, Zahnlockerungen, Zahnverluste, reduzierte Kaufunktion mit schlecht zerkautem Essen, Stigmatisierung durch den unschönen Anblick, eingeschränkte Lebensqualität, und natürlich hohe Folgekosten durch Zahnersatz.

Aber auch der Ersatz verlorener Zähne durch Implantate ist keine einfache Lösung - die erhöhte Entzündungsanfälligkeit von Parodontitis-Patienten besteht auch für die Gewebe, die das Implantat umgeben und für dessen Verankerung sorgen.

,,Es wird höchste Zeit, dass wir die Mundhöhle nicht mehr abgekoppelt vom Rest des Körpers betrachten"
Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen
Spezialist für Parodontologie an der Bonner Universitätszahnklinik

Womit wir beim nächsten Stichwort sind. Denn als wäre die eigentliche Parodontitis als Erkrankung in der Mundhöhle nicht problematisch genug, kann sie besonders in ihrer schweren Form - die Entstehung und das Voranschreiten anderer Erkrankungen begünstigen. Vor allem mit der weit verbreiteten Volkskrankheit Diabetes bildet sie einen wahren Teufelskreis, erklärt Professor Jepsen. „Menschen mit Diabetes haben ein deutlich erhöhtes Risiko eine Parodontitis zu entwickeln. Bei Menschen mit Diabetes schreitet die Krankheit zudem schneller fort und führt häufiger zum Zahnverlust. Umgekehrt haben Menschen mit Parodontitis ein erhöhtes Risiko an Diabetes zu erkranken. Auch eine Verschlechterung der Gefäßgesundheit kann eine Folge der Parodontitis sein und diese damit zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen, sagt der Experte in der Bonner Uniklinik.

Es gibt aber auch viele gute Nachrichten: All diese oben beschriebenen unerfreulichen Szenarien lassen sich durch regelmäßige Vorsorgetermine bei der Zahnärztin oder dem Zahnarzt des Vertrauens vermeiden. Zur Vorsorge gehört an allererster Stelle die Eigenverantwortung für die ganz persönliche Mundhygiene. Dabei vermeidet Professor Jepsen einen Tipp für die ideale Zahnbürste. ,,Ob elektrisch oder manuell: Die meisten Menschen brauchen eine individuelle Schulung in der Praxis, wo sie unter Aufsicht lernen, wie man sich richtig und effektiv die Zähne putzt", erklärt Professor Jepsen. ,,Dazu gehört besonders auch die Pflege der Zahnzwischenräume durch Interdentalbürstchen." Und ja, zur Vorsorge vor Parodontitis zählt unter anderem auch die Rauchentwöhnung.

Nur bei regelmäßigen Besuchen in der Zahnarztpraxis können die Symptome einer Parodontitis frühzeitig erkannt, die Zahnfleischtaschen kontrolliert und durch entsprechende Behandlungen einem Fortschreiten der Krankheit Einhalt gebieten. Diese Behandlung umfasst immer die Entfernung der bakteriellen Auflagerungen aus den Zahnfleischen, was dann in aller Regel zur Beseitigung der Entzündung und zu einer Abflachung der Taschen führt.

Die Behandlung einer schweren Parodontitis ist aufwendiger und erfordert mitunter auch kleine chirurgische Eingriffe. Der Vorteil: nicht nur die Mundgesundheit verbessert sich, auch positive Auswirkungen auf die Gefäßgesundheit sind bekannt und die Blutzuckerkontrolle bei Menschen mit Diabetes wird erleichtert.

Aktuell findet ein großangelegtes und mit Geldern des Bundesgesundheitsministeriums gefördertes Forschungsprojekt statt, an dem auch das Team von Prof. Jepsen beteiligt ist. Darin wird nun untersucht, ob durch Risikoscreening die Früherkennung einer Parodontitis in Hausarztpraxen und die Früherkennung von Diabetes in Zahnarztpraxen zu einem Fortschritt in der Bekämpfung dieser großen Volkskrankheiten führen kann. „Es wird höchste Zeit, dass wir die Mundhöhle nicht mehr abgekoppelt vom Rest des Körpers betrachten. Die Zahnmedizin mit ihrer Expertise für Mundgesundheit ist ein wichtiger Teil der gesamten Medizin."

Von Jörg Wild


„Parodontitis" statt „Parodontose"

,,Zum Glück setzt sich auch im Alltag immer mehr der medizinisch korrekte Fachbegriff, Parodontitis' durch", erklärt Professor Søren Jepsen. Umgangssprachlich wird die Erkrankung oft noch als „Parodontose" bezeichnet. Das ist falsch, denn die Endung,,-ose" steht für degenerative Veränderungen. Es handelt sich aber um kein schicksalhaftes Geschehen, sondern um eine bakteriell bedingte Entzündung des Zahnbettes. Die Wortendung ..-itis" steht für entzündliche Erkrankungen, die zumeist gut behandelt werden können. jöw