Interview mit dem Bonner Virologen über die HIV-Impfstoffforschung und die Abbrechung der Entwicklung eines Impfstoffs

Prof. Dr. Hendrik Streeck über die HIV-Impfung: "Aufgeben ist keine Option"

Professor Dr. med. Hendrik Streeck FOTO: ROLF VENNENBERND/DPA

Im Januar 2023 wurde die klinische Studie "Mosaico" mit einem HIV-Impfstoffkandidaten des Unternehmens Johnson & Johnson abgebrochen. Der Impfstoff schützte nicht ausreichend vor einer HIV-Infektion. Wie kann es mit der HIV-Impfstoffforschung weitergehen? Bieten auf der neuen mRNA-Technologie basierende Impfstoffe eine Lösung? Darüber sprechen wir mit Professor Dr. med. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Universitätsklinik Bonn und Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen AIDS-Stiftung.

Professor Streeck, hatten Sie große Hoffnungen auf "Mosaico" gesetzt? Und wo liegt das Problem bei der Erforschung von HIV-Impfstoffen?

Hendrik Streeck: Die Enttäuschung über den Abbruch der Studie war schon groß. In vorhergehenden Versuchen an Affen hatte der Impfstoff sehr gut vor einer Infektion geschützt und auch im Menschen robuste Immunantworten hervorgerufen. Es gab gute Gründe optimistisch zu sein. Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen HIV ist schwierig, da das HI-Virus in sehr vielen verschiedenen Varianten vorkommt und eine hohe Mutationsrate hat. Ein Impfstoff muss gegenüber sehr unterschiedlichen Virusstämmen wirken. Das Virus hat zusätzlich eine besonders geschützte und schwer angreifbare Oberfläche. Die durch einen Impfstoff ausgelöste Immunreaktion muss im Grunde besser sein als die, die bei HIV-Infizierten auf natürliche Weise entstehen. Nämlich das Virus komplett zu eliminieren.

Durch die Corona-Impfstoffe ist die einer mRNA-Impfstofftechnologie breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Sehen Sie hier neue Chancen, einen HIV-Impfstoff zu entwickeln?

Hendrik Streeck: Die mRNA-Technologie bietet sicher viele neue Möglichkeiten, weitere Krankheiten zu verhindern. Es ist jetzt unsere Aufgabe zu erforschen, ob diese Technologie auch erfolgreich gegen HIV angewendet werden kann. Zumindest wurden mit einer HIV-Impfung schon gewünschte Immunantworten gegen das Virus erzeugt.

Damit ist bereits der erste Schritt getan. Inwieweit die mRNA-Technologie helfen kann einen prophylaktischen Impfstoff zu entwickeln, bleibt abzusehen. In der Zwischenzeit müssen wir das Virus durch Präexpositionsprophylaxe und die Therapie möglichst aller HIV-positiven Menschen eindämmen. Erfolgreich therapierte Menschen mit HIV können das HI-Virus auch beim Geschlechtsverkehr nicht weitergeben. Therapie als Prävention wirkt heute bereits flächendeckend und senkt die Zahl der HIV-Neuinfektionen. Aufgeben ist jedenfalls keine Option.      um


Zahl der HIV-Neuinfektionen bleibt stabil

Viele HIV-Tests werden zu spät angeboten

Laut den Schätzungen des Robert Koch-Instituts liegt die Zahl der Neu-Infektionen in Deutschland im Jahr 2021 bei ca. 1.800. Damit haben sich gleich viele Menschen neu mit HIV infiziert wie 2022. 1.400 der Neu-infizierten Personen sind Männer.

2021 wurden rund ein Drittel der diagnostizierten HIV-Infektionen erst mit einem fortgeschrittenen Immundefekt festgestellt. Bei weiteren 18 Prozent war zum Zeitpunkt des HIV-Tests bereits das Vollbild Aids ausgebrochen. Diese Anteile haben sich seit dem Jahr 2020 nicht verändert. Besonders häufig wird Personen, die älter als 50 Jahre sind und heterosexuellen Menschen erst sehr spät ein HIV-Test angeboten.

Da behandelte HIV-Infektionen nicht tödlich verlaufen, steigt die Anzahl der HIV-positiven Menschen in Deutschland kontinuierlich an. 2021 waren es rund 90.800, davon leben 19.400 HIV-positive Menschen in Nordrhein-Westfalen. Bei etwa 8.600 der 90.800 Menschen ist die HIV-Infektion noch nicht diagnostiziert. Das Robert Koch-Institut empfiehlt zusätzliche Anstrengungen, um diese Menschen zu erreichen. Dies sei notwendig, um einen weiteren Rückgang der HIV-Neuinfektionen zu erreichen.     vm