Neuer Wirkstoff gegen Alzheimer

Womöglich kann ein neues Medikament das Voranschreiten der Vergesslichkeit bei Alzheimer verlangsamen. Foto: Gettylmages/LightFieldStudios; Foto: Merle Forchmann

Seit über 20 Jahren gab es kein neues Medikament mehr gegen Alzheimer in Deutschland. Doch jetzt steht die Zulassung eines neuartigen Wirkstoffs bevor. Experten sind vorsichtig optimistisch.

Der neue Wirkstoff Lecanemab reduziert die für Alzheimer-Erkrankungen charakteristischen Ablagerungen von Beta-Amyloid im Gehirn. Dass sich der Krankheitsverlauf mit dem neuen Wirkstoff um 27 Prozent verzögert, hat eine 18-monatige Studie mit 1795 Teilnehmern gezeigt. Die ausführlichen Studien ergebnisse wurden kürzlich auf der Alzheimer-Konferenz Clinical Trial on Alzheimer‘s Disease (CTAD) in San Francisco vorgestellt. „Lecanemab greift in die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit ein und reduziert nicht nur die schädlichen Amyloid-Ablagerungen, sondern verzögert auch den Krankheitsverlauf. Dies ist das ausschlaggebende Kriterium für Patienten – und das hat bisher noch kein Wirkstoff geschafft“, so Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative (AFI), Düsseldorf. 

Das sei zwar noch kein Durchbruch, aber sie ist dennoch vorsichtig optimistisch. Es sei klar, dass Lecanemab die Alzheimer-Krankheit nicht heilen könne. Der Wirkstoff könne im besten Fall den Verlauf der Krankheit im frühen Stadium etwas verzögern. Menschen mit fortgeschrittenem Krankheitsstadium würden wahrscheinlich keinen Nutzen davon haben. Allerdings bewertet die Expertin die Verbesserung der Kognition um 27  Prozent als lediglich moderat. Deshalb sei es fraglich, ob dieser Effekt für Betroffene überhaupt spürbar sei und im Alltag einen Unterschied mache. 

Dennoch gibt es berechtigten Grund für die Hoffnung, dass der Wirkstoff bei längerer Einnahme seinen Wirkmechanismus vergrößert. Denn die Studie hat auch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit zunehmender Dauer der Einnahme des Wirkstoffes steigert. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.

Einnahmeist nicht ohne Nebenwirkungen und mit Risiken

Es gibt auch Risiken, die mit der Einnahme des Wirkstoffs verbunden sind, wie zum Beispiel Hirnschwellungen. „Es muss genau abgewogen werden, ob Nutzen und Risiko in einem angemessenen Verhältnis stehen. Im Falle einer Zulassung des Medikaments wäre eine enge ärztliche Überwachung bei der Behandlung erforderlich. Außerdem müsste genauer bestimmt werden, welche Patienten für eine Behandlung infrage kommen. Die Todesfälle von zwei Studienteilnehmern im Zusammenhang mit der Einnahme von Blutverdünnern zeigen, dass noch Fragen zur Sicherheit des Wirkstoffes geklärt werden müssen“, sagt Thienpont. 

Die Studienergebnisse deuteten darauf hin, dass es richtig sei, den Ansatz weiter zu verfolgen, bei dem es darum geht, die schädlichen Amyloid-Plaques zu beseitigen. Es sei jedoch ebenso wichtig, nicht nur auf Beta-Amyloid zu fokussieren, sondern auch Forschungsansätze zu verfolgen, die sich mit anderen Merkmalen der Krankheit wie Ablagerungen von Tau-Proteinen oder entzündlichen Prozessen befassen. „Da wir die Alzheimer-Krankheit vermutlich nicht mit einem einzigen Wirkstoff heilen können, werden wir wahrscheinlich Kombinationstherapien brauchen, die an unterschiedlichen Krankheitsmechanismen ansetzen. Daher ist es für uns als Alzheimer Forschung Initiative so wichtig, breite Grundlagenforschung mit verschiedenen Ansätzen zu fördern“, fasst die Expertin ihre Einschätzung zu dem neuen Wirkstoff zusammen. Ihr ist wichtig zu betonen, dass die Alzheimer Forschung Initiative nicht mit Pharma-Unternehmen zusammenarbeitet und auch an der klinischen Studie nicht beteiligt war. Annette Schneider